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Schwestern von gestern (7): Lida Gustava Heymann

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„Ein Europa mit Frauenwahlrecht wäre keinem Weltkrieg zum Opfer gefallen.“ Dieser Satz von Lida Gustava Heymann umfasst fast alles, was ihr in ihrem Leben wichtig war und wofür bzw. wogegen sie sich einsetzte. Sie investierte viel Zeit und viel Geld in der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen sozial schwacher Frauen, sie war eine ebenso hochengagierte wie kreative Frauenrechtlerin, die mit aller Kraft für das Frauenwahlrecht kämpfte, und sie setzte sich ein für die Erhaltung des Friedens in einer Zeit, in der sie zwei Weltkriege und die Diktatur der Nazis erleben musste.

Liebe Leserin, lieber Leser,

Lida Gustava Heymann wurde vor 145 Jahren, 1868 in Hamburg als Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns geboren. Als dieser früh starb, hinterließ er ihr nicht nur ein beachtliches Erbe, sondern setzte sie auch als Vermögensverwalterin ein. Das war Ende des 19. Jahrhunderts so ungewöhnlich, dass sie sich das Recht dazu erst vor Gericht erstreiten musste.

Nachdem dies gelungen war, nutzte sie ihren enormen Reichtum für soziale Zwecke und gründete, was wir heute ein feministisches Frauenzentrum nennen würden. Sie kaufte ein riesiges Haus und richtete dort auf eigene Kosten einen Mittagstisch für Arbeiterinnen und eine Kindertagesstätte ein; es gab ein Nähzimmer und eine Bibliothek, Bademöglichkeiten und eine Beratungsstelle. Sie sorgte für sexuelle Aufklärung, verklagte den Hamburger Senat wegen Zuhälterei, weil dieser die Prostitution stark reglementierte, sie initiierte eine Steuerverweigerungskampagne für Frauen, weil diese kein Wahlrecht hatten, kämpfte gegen den § 218 und für ein modernes, weniger frauenfeindliches Familienrecht, gründete ein koedukatives Gymnasium sowie Berufsverbände für weibliche Angestellte in Büroberufen und in Bühnenbetrieben.

1896 – im gleichen Jahr, in dem ihr Vater starb – lernte sie die radikale Feministin Anita Augsburg kennen, eine der ersten promovierten Juristinnen Deutschlands. Bis zu beider Tod 1943 bildeten sie eine kreative und kämpferische Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Sie gehörten zu den prominentesten Vertreterinnen des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung um Minna Cauer und Hedwig Dohm (siehe Blogs „Schwestern von gestern (3) – Hedwig Dohm“ vom 29.10.2012  und „Schwestern von gestern (5): Frauen und ihre Zeitungen“ vom 17.6.2013, gründeten Organisationen wie den „Verband fortschrittlicher Frauenvereine“, 1902 den „Verein für Frauenstimmrecht“ sowie mitten im Ersten Weltkrieg 1915 den „Internationalen Ausschuss für einen dauerhaften Frieden“, dem Vorläufer der heute noch bestehenden „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF). Über Jahrzehnte gaben sie zudem Zeitungen heraus wie „Die Frau im Staat“ und die „Zeitschrift für Frauenstimmrecht“.

Mit Beginn des ersten Weltkriegs intensivierten Heymann und Augspurg ihren Kampf gegen Wettrüsten und Krieg, dem „Kulminationspunkt männlicher Raff- und Zerstörungswut“1. Wegen ihrer „staatsfeindlichen“ Äußerungen wurde Lida Gustava Heymann aus Bayern ausgewiesen, wo sie mit Anita Augspurg einen kleinen Bauernhof betrieben hatte.

Als eine der ersten warnten beide vor Hitler und standen deshalb auf der Todesliste der Nazis, als diese im Januar 1933 an die Macht kamen. Da sie damals auf einer Auslandsreise waren – sie hatten noch im Alter von 60 und 71 den Führerschein gemacht! – kehrten sie nicht mehr nach Deutschland zurück und verbrachten ihren Lebensabend im Schweizer Exil.

Das war für die beiden engagierten Frauen überaus schmerzlich, denn es bedeutete u.a. den Verlust ihres riesigen Archivs der deutschen Frauenbewegung. „Wenn die Frauen nur erst mehr geschichtliche Quellenstudien betreiben werden, dürfte sich wahrscheinlich herausstellen, dass den deutschen Frauen an der Befreiung vom fremden Joche … ein weit größerer Anteil zufällt, als die Herren Geschichtsschreiber uns mittzuteilen für gut befinden"2, schrieb Heymann in ihrer Autobiographie, die sie mit Anita Augspurg verfasste4. Wir würden es heutzutage kürzer mit den Satz formulieren „Zukunft braucht Herkunft“, aber die Erkenntnis war und ist richtig: Nur wer seine Wurzeln kennt, kann Gegenwart und Zukunft (mit)gestalten.

Der Verlust des über Jahrzehnte gesammelten Archivs und das Verurteiltsein zur Inaktivität traf beide Frauenrechtlerinnen schwer – „als hätten wir uns selbst überlebt, als wären wir lebend gestorben“3, schrieb Lida Gustava Heymann in der o.g. Autobiographie.

Vor 70 Jahren, am 31. Juli 1943 starb sie wenige Monate vor Anita Augspurg. Erst die moderne Frauenbewegung rief die Erinnerungen an diese beiden wie an so viele frühe Feministinnen wieder wach.

Wer sich für diese Zeit und die so besonderen Frauen interessiert, der kann ich nur das 2002 erschienene Buch von Ursula Scheu und Anna Dünnebier ans Herz legen „Die Rebellion ist eine Frau“ – eine wirklich fesselnde Lektüre.

Herzlich

Ihre Kristin Rose-Möhring


1 ebenda
2 Zitiert nach Ursula Scheu (Hg.): Lexikon der Frauenzitate, München 2002
3 Heymann, Lida Gustava und Anita Augspurg: Erlebtes - Erschautes. Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden 1850-1940

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