Beschluss des VGH München zum Spannungsfeld Risikobewertung
Zu diesen Interessen und Spannungsfeldern liegt ein bedeutender Beschluss des VGH München vom 25.04.2022 -20CS 22.530- vor. Nach den zugehörigen amtlichen Leitsätzen ist eine etwaige lebensmittelrechtliche Verbotsverfügung als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung von der Lebensmittelbehörde während ihres gesamten Geltungszeitraums darauf zu überprüfen, ob und inwieweit ihre gesetzlichen Voraussetzungen noch vorliegen.
Gemäß dem zweiten Leitsatz entbindet die Möglichkeit einer Gesundheitsschädlichkeit eines Lebensmittels die zuständige Behörde nicht davon, ihren Handlungsspielraum im Rahmen ihrer Risikomanagemententscheidung wahrzunehmen.
Aus dem Beschluss und den Leitsätzen dazu wird deutlich, dass das im Unionsprimärrecht verankerte hohe Gesundheitsschutzniveau, Art. 168 AEUV, in Verbindung mit dem Vorsorgeprinzip, Art. 7 Lebensmittelbasisverordnung (EG) Nr. 852/2004, einen weitreichenden Verbraucherschutz ermöglichen. Gerade das Vorsorgeprinzip kann Verbraucherschutzmaßnahmen bei noch nicht abschließend gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen begründen. Sofern die Unternehmen dabei in Einzelfällen andere Auffassungen haben, können gemäß auch der Systematik von Art. 138 Verordnung (EU) 2017/625 über amtliche Kontrollen entsprechende behördliche Anordnungen gegenüber den Unternehmen zur Veranlassung der Schutzmaßnahmen erforderlich werden. Auf der anderen Seite sind die Behörden bei Entscheidungen auf derartigen Grundlagen fortwährend zur Überprüfung der Notwendigkeit der Schutzmaßnahmen mit den zu Grunde liegenden Erkenntnissen verpflichtet. Dabei wird auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mit Blick auf die Rechtseingriffe und deren wirtschaftliche Bedeutung Rechnung getragen. Gleichzeitig werden nachvollziehbar erforderliche Bemühungen unterstrichen, wonach wissenschaftliche Unsicherheiten möglichst rasch aufzuklären sind. Die auch vom VGH erwähnte behördliche Verpflichtung zur Wahrnehmung von Risikomanagemententscheidungen beinhaltet dabei neben vorerwähnten Beispielen von behördlichen Eingriffen auch die Einordnung von tolerablen Risiken in die entsprechenden Lebensalltagsrisiken; in diesen Fällen ist von Beanstandungen abzusehen.
Die entsprechend hohe Bedeutung von Risiko- und Krisenmanagement wird auch im Praxishandbuch Behebung und Verfolgung von Lebensmittelverstößen, Ludwig/Wieser, 7. Auflage 2022, Kapitel 1.4, beschrieben.
Stephan Ludwig, Veterinäramt Göppingen

