Zeitarbeit 4.0. oder doch nur ein Update...?
Inhalt:
- Neue Regeln für die Zeitarbeit
- Wie lange darf eine Arbeitnehmerüberlassung dauern?
- Berechnung der Überlassungsdauer
- Was heißt das für Personalbewegungen in großen Konzernen?
- Sonderlösungen durch Tarifvertrag sowie Betriebs- oder Dienstvereinbarung
- Gleiche Bezahlung und gleiche Arbeitsbedingungen
- Streitpunkt: wesentliche Arbeitsbedinungen
- Verbot des „Streikbrecher“
- Mehr Kontrolle über Werkverträge
- Stärkung der Betriebsräte und Mitbestimmungsgremien
- Fazit
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„Die Arbeitnehmerüberlassung in der betrieblichen Praxis“:
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1. Neue Regeln für die Zeitarbeit
Seit Juni 2016 hat sich der Bundestag mit einem Entwurf des Gesetzes befasst, mit dem die Zeitarbeit in eine neue Form gegossen werden soll. Zum 1. April 2017 soll es nun in Kraft treten und damit eines der wesentlichen arbeitsrechtlichen Vorhaben der großen Koalition – wie im Koalitionsvertrag angekündigt – in die Tat umgesetzt werden. Ist es ein großer Wurf? Der allgemeine Tenor ist: Nicht so richtig. Woran das liegt, wird je nach sozialpolitischer Perspektive sehr unterschiedlich bewertet.
Im Kern geht es darum, die Möglichkeiten der Zeitarbeit mit den aktuellen ordnungspolitischen Vorstellungen von unternehmerischer Beschäftigungspolitik in Einklang zu bringen, oder - aus der Perspektive der Gesetzesanwender betrachtet - dies durch mehr oder weniger geeignete gesetzliche Maßnahmen zu erzwingen.
Der Koalitionsvertrag und der Titel des Gesetzes nennen als Motiv und Handlungsbedarf die Bekämpfung des Missbrauchs der Zeitarbeit und der Werkverträge bei der Beschäftigung von Arbeitskräften. Man wolle die Zeitarbeit „auf ihre Kernfunktion hin orientieren“, und das ist der Einsatz von Zeitarbeitnehmern bei Bedarfsspitzen und kurzweilig besonderem Personalbedarf, quantitativ oder qualitativ.
Es muss aber schon an dieser Stelle die Frage erlaubt sein, ob die Anforderungen an den Arbeitsmarkt und die Beschäftigung in Unternehmen und Betrieben heute noch dieselben sind wie zur Zeit des ersten Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes von 1972? Anders gefragt, ob die frühere Kernfunktion der Beschäftigungsinstrumente dem Flexibilisierungsbedürfnis von Unternehmen, die heute auch schon als kleine Mittelständler in einem globalen Wettbewerb stehen, nicht neuen Herausforderungen gerecht werden müsste und in diese Richtung modernisiert werden sollte?
Dem Arbeitsmarkt, das muss man konstatieren, hat die Schaffung zunehmend größerer Bewegungsfreiheit für die Zeitarbeit nicht geschadet. Die Zeitarbeitsbranche hat selbst beträchtliche Beschäftigtenzahlen entwickelt (bis 2016 knapp 1 Million) und sie hat auch selbst ihre Funktionsweise als arbeitsmarktpolitisches Instrument gefunden. Zeitarbeit ist für die Unternehmen zweifelsohne ein Flexibilisierungsinstrument. Betrachtet man die Peripherie der „Krisenjahre“ 2008 und 2009, wird erkennbar, dass dieses Instrument arbeitsmarktpolitisch funktioniert. Im Jahr 2006 betrug der Anteil der Zeitarbeitnehmer in Deutschland nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit 1,3 %, im Jahr 2010 bereits 2% , im Jahr 2011 sogar 2,9% und im Jahr 2014 wieder etwas rückläufig 2,6% der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, 2016 waren es 2,7%. Offenbar fungiert die Überlassung in Unternehmen auch als Sprungbrett in den Arbeitsmarkt. Im Jahr 2014 waren 55% der neu eingestellten Zeitarbeitskräfte zuvor arbeitslos.
Nach dem Willen der Bundesregierung soll nun also die Zeitarbeit als etabliertes Instrument des flexiblen Personaleinsatzes zur Abdeckung von Auftragsspitzen und bei kurzfristigem Personalbedarf geschärft, der Missbrauch der Leiharbeit und der Werkverträge verhindert und die Stellung der Zeitarbeitskräfte sowie der Tarif- und Betriebsparteien gestärkt werden.
2. Wie lange darf eine Arbeitnehmerüberlassung dauern?
Vor allem über die Frage, wie lange die Überlassung einer Zeitarbeitskraft dauern darf und ob sich das auf die Person der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers zu beziehen hat oder auf den Arbeitsplatz im Einsatzbetrieb, war ein rechtspolitischer Streit entstanden, in dem sowohl Gerichte untereinander als auch Gewerkschaften und Arbeitgeber vollkommen uneinheitliche Aussagen vertraten. Die Bundesregierung reagiert mit dem Gesetzentwurf gleichzeitig auf eine Vielzahl von Unsicherheiten in der Zeitarbeit. Sie beruft sich auf Artikel 4 der europäischen Leiharbeitsrichtlinie (2008/104/EG vom 19.11.2008), der lautet:
„Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit sind nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt; hierzu zählen vor allem der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten.“
Der Europäische Gerichtshof hat in einer in der Fachwelt vieldiskutierten Entscheidung (Urteil. v. 17.3.2015 – C-533/13 ) klargestellt, dass Einschränkungen der Höchstüberlassungsdauer möglich seien und gleichzeitig bei den Prüfungsambitionen nationaler Gerichte auf die Bremse gedrückt, da sich dieser Teil der Richtlinie sehr wohl an Behörden und nationale Gesetzgeber richte, aber kein Maßstab für Gerichte sein solle.
Bislang ist es jedenfalls zulässig gewesen, Zeitarbeitskräfte „vorübergehend“ an einen Entleiherbetrieb zu überlassen, was im Einzelfall und teilweise mehrere Jahre bedeuten konnte. Künftig soll dieselbe Zeitarbeitskraft nur noch maximal 18 Monate bei demselben Entleihunternehmen tätig werden dürfen. Wird diese Höchstüberlassungsdauer überschritten, entsteht automatisch sofort ein Arbeitsverhältnis zwischen der Zeitarbeitskraft und dem Entleiher. Dieses scharfe Schwert des sog. „Fiktionsarbeitsverhältnisses“ gab es bisher nur illegalen, also ohne die erforderliche gewerbliche Überlassungserlaubnis erfolgenden Überlassungsfällen.
Immerhin haben Zeitarbeitskräfte noch die Möglichkeit, der Übertragung ihres Arbeitsverhältnisses auf den Entleiher schriftlich zu widersprechen.
Dazu muss sie allerdings früh genug Wind von den Rechtsfehlern bekommen, denn sie muss eine Frist von einem Monat einhalten, sonst ist das Widerspruchsrecht dahin. Und nicht nur das: um ganz sicher zu gehen, dass nicht doch heimlich schon einmal eine vorgefertigte Erklärung in die Schublade gelegt wird, muss die betreffende Zeitarbeitskraft zuerst persönlich bei der Arbeitsagentur vorstellig werden, um dort nach erkennungsdienstlicher Überprüfung seiner Erklärung anzuzeigen. Man kann nicht behaupten, dass so ein Prozess den Möglichkeiten in Zeiten der Digitalisierung Rechnung trägt.
Man kann sich schon heute vorstellen, dass diese „Festhaltenserklärungen“, mit denen Zeitarbeitskräfte trotz relevanter Fehler im Überlassungsprozess dennoch an ihrem Arbeitsverhältnis mit dem Personaldienstleister „festhalten“ können, an der Einhaltung der Frist scheitern, weil die Fehler erst später bekannt oder überhaupt erst von einem Gericht als solche festgestellt werden.
Ein „vorsorglich“ erklärter Widerspruch – etwa bereits zu Beginn der Überlassung – soll indes nicht wirksam sein.
3. Berechnung der Überlassungsdauer
Bei der Berechnung der Überlassungsdauer zählen alle Zeiten bei demselben Entleiher mit, nur nach einer mindestens dreimonatigen Unterbrechung wird neu gezählt. Eine Zeitarbeitskraft, die bereits 18 Monate bei demselben Entleiher tätig, muss also eine „Pause“ von drei Monaten einlegen, bevor er oder sie wieder für den gleichen Entleiher tätig werden darf. Wie diese Pause gestaltet werden kann, wenn aufgrund eines besonderen Bedarfs an Kontinuität der Einsatz einer bestimmten Arbeitskraft erreicht werden soll, werden Zeitarbeitsdienstleister und Kunden entwickeln.
Ermittelt wird das Ganze „arbeitnehmerbezogen“, nicht „arbeitsplatzbezogen“, d.h. es werden alle Einsatzzeiten der Zeitarbeitskraft bei dem jeweiligen Entleiher zusammengezählt und es spielt keine Rolle, ob er oder sie dort auf verschiedenen Arbeitsplätzen eingesetzt war. Ebenso spielt es keine Rolle, ob hinter dem Einsatz bei einem Entleiher derselbe Personaldienstleister stand, oder ob die Zeitarbeitskraft während des Einsatzes den Verleiher gewechselt hat. So ein „Verleiher-Rondell“ ist also kein Mittel, um über Umwege die Überlassungsdauer zu strecken.
Trotzdem ist diese Regel seitens der Gewerkschaften kritisiert worden, denn sie lässt nach wie vor zu, dass bestimmte Funktionen sehr lange – oder dauerhaft – mit Zeitarbeitskräften besetzt sein werden. Gerade im geringqualifizierten Bereich, in dem mit kurzen Anlernzeiten Zeitarbeitskräfte einfacher ausgetauscht werden können, befürchtet man das Entstehen der „Leiharbeitnehmer-Rondelle“. Diese Annahme hat vor dem Hintergrund der Entwicklung der Zeitarbeit sicher ihre Berechtigung. Sie könnte aber auch herangezogen werden, um zu hinterfragen, ob die Einführung der Höchstüberlassungsdauer gerade in diesem Bereich des Arbeitsmarktes ein erfolgversprechendes Instrument ist. Weiter gedacht leitet sich daraus vielleicht der erste Auftrag an die Tarifparteien ab, ihren mit dem Gesetz verliehenen Spielraum zu nutzen. Es kann gerade dort, wo Arbeitskräfte leichter austauschbar scheinen, auch nicht im Sinne der Zeitarbeitskräfte sein, alle 18 Monate den Einsatzort wechseln zu müssen.
Wichtig!
Diese Regelung wird neu eingeführt – alle Uhren werden mit Inkrafttreten des Gesetzes (also am 1.4.2017) auf Null gestellt und die Überlassungsdauer mit Blick auf die Höchstgrenzen ab dann gezählt.
4. Was heißt das für Personalbewegungen in großen Konzernen?
Das ganze Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gilt bereits nach heutiger Rechtslage auch für die Überlassung von Arbeitskräften zwischen Konzernunternehmen, wenn die betreffenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zumindest auch mit dem Ziel einer Überlassung eingestellt oder beschäftigt wurden. In modernen Konzernstrukturen kommt das nicht selten vor. Ausnahmen gelten nur dann, wenn die Überlassung selbst nur die Ausnahme ist und nur gelegentlich genutzt wurde. All dies ändert sich durch die Neufassung des AÜG nicht. Für viele Fälle der konzerninternen Überlassung wird nun aber die Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gelten. Ob das der Praxis des flexiblen Einsatzes von Kapazitäten und dem Teilen von Kompetenzen zwischen Konzernunternehmen gerecht wird, muss man ebenso bezweifeln, wie ob die betreffenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter davon irgendetwas haben. Innerhalb eines Konzerns vielseitige Erfahrungen zu machen gilt gemeinhin als karriereförderlich- also warum dieser Hemmschuh, fragen die Unternehmen?
5. Sonderlösungen durch Tarifvertrag sowie Betriebs- oder Dienstvereinbarung
Die Änderungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetzt offenbaren den Eindruck, dass es vor allem um den Schutz der Stammbelegschaften der Einsatzbetriebe geht. Das ist insofern nachvollziehbar, als ein ausufernder Einsatz von Zeitarbeitskräften in Unternehmen und Betrieben die Sorge nährte, Stammbelegschaften würden durch Zeitarbeitsmannschaften verdrängt und dadurch soziale Bestandsrechts aus dem Arbeitsrecht untergraben. Hält man sich das vor Augen, wird verständlich, warum die Möglichkeiten, eigene Sonderlösungen für die erlaubte Überlassungsdauer in einem Einsatzbetrieb zu schaffen, nicht etwa den Tarifpartnern der Zeitarbeitsbranche zugeschrieben wird, sondern nur durch die Sozialpartner der jeweiligen Einsatzbranchen gestaltet werden kann.
Die Zeitarbeitsbranche selbst ist dabei außen vor. Trotzdem liegt darin eine wichtige Aussage, nämlich dass die richtige Grenze und der eigenen Arbeitssituation und Bedarf eben doch am Besten von den Betriebs- und Sozialpartnern der jeweiligen Unternehmen und Betriebe beurteilt werden kann und darum auch von denen am fairsten geregelt werden wird.
Den Tarifparteien der Einsatzbranche soll es also möglich sein, die Überlassungsdauer zu verkürzen oder zu verlängern. Dabei können entweder eigene Höchstfristen definiert werden. Solche Regelungen können dann auch nicht tarifgebundene Unternehmen nutzen, die in das jeweilige Tarifgebiet fallen und durch Betriebsvereinbarung die entsprechende Tarifregelung 1:1 übernehmen.
Die Tarifparteien müssen sich selbst nicht festlegen, sie können auch durch sog. „tarifliche Öffnungsklauseln“ den Betrieben erlauben, selbst Überlassungsgrenzen durch Betriebsvereinbarung festzulegen. Ein Tarifvertrag kann dafür wiederum eine Maximaldauer definieren. In so einem Fall ist für Unternehmen, die selbst nicht tarifgebunden sind, aber bei 24 Monaten Schluss. Längere Überlassungszeiten können unter dem Deckmantel einer tariflichen Öffnungsklausel nur tarifgebundene Entleiher in Anspruch nehmen.
Ob und in welchem Umfang die Tarifparteien der verschiedenen Branchen hiervon Gebrauch machen werden, muss man allerdings abwarten, da es aus Sicht der Gewerkschaften wohl nur in Ausnahmefällen Handlungsbedarf geben wird, die gesetzlichen Höchstgrenzen auszuweiten.
6. Gleiche Bezahlung und gleiche Arbeitsbedingungen
Dass es dabei gerecht zu gehen muss, steht außer Frage. Damit ist vor allem die Bezahlung von Zeitarbeitskräften angesprochen, die, das ist alles andere als neu, nach den sogenannten Prinzipien von Equal Pay und Equal Treatment zu erfolgen hat. Für diesen Schutz haben bereits die Hartz-Gesetze gesorgt. Allerdings ist bis dato anerkannt, dass der Gesetzgeber eigentlich nicht der Richtige ist, um die Höhe der Vergütung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern festzulegen- von Mindestlöhnen abgesehen. Das ist Sache der Tarifvertragsparteien und sie haben in den vergangenen Jahren für eine flächendeckende Tariflandschaft für die Arbeitsverhältnisse von Zeitarbeitnehmerinnen und –arbeitnehmern gesorgt. Wo so ein Tarifvertrag gilt, werden die Arbeitsbedingungen heute nicht mehr auf die Equal Pay Regeln überprüft.
Die Regel zum „Equal Pay“ und „Equal Treatment“ bei längeren Einsätzen von Zeitarbeitskräften sind eines der Kernstücke des Gesetzes. Nach dem neuen Gesetz sollen abweichende Tarifverträge nur noch für eine bestimmte Zeit gelten. Der Gleichbehandlungsgrundsatz muss grundsätzlich zwingend nach neun Monaten, gerechnet ab der Arbeitsaufnahme beim Entleiher angewandt werden.
Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet den Verleiher – der ist der Arbeitgeber und daher für die Vergütung der Zeitarbeitskräfte heranzuziehen - spätestens nach Ablauf dieser Karenzphase den Zeitarbeitskräften die im Entleiherbetrieb für Stammarbeitskräfte geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des dort gezahlten Arbeitsentgelts zu gewähren.
Die bisher bestehende Möglichkeit, etwa durch Inbezugnahme von Tarifverträgen der Zeitarbeitsbranche von dem Gleichbehandlungsgrundsatz abzuweichen, endet nach neun Monaten. Dort, wo Branchenzuschlagstarifverträge eine stufenweise Angleichung der Arbeitsbedingungen vorsehen, kann diese Frist bis auf 15 Monate verlängert werden.
7. Streitpunkt: wesentliche Arbeitsbedinungen
Dieser Teil des Gesetzes gilt als politisch besonders umstritten. Vor allem die praktische Umsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gilt gemeinhin als in Ding der Unmöglichkeit- denn was die wesentlichen Arbeitsbedingungen eigentlich alles sind und wie man sie an Zeitarbeitskräfte weitergeben soll, wenn es sich darum um Sachleistungen oder Einrichtungen im Entleiherunternehmen handelt, ist nicht genau bekannt. Da es bis dato flächendeckend vorrangig geltende tarifliche Arbeitsbedingungen für die Zeitarbeitsbranche gibt, kommt dieser Gleichbehandlungsgrundsatz auch so gut wie nirgends dergestalt zur Geltung, dass er nach dem Gesetzeswortlaut gerechnet werden müsste.
Künftig wird das geändert werden müssen. Bei Sachbezügen, wie beispielsweise dem Dienstwagen, Aktienoptionsprogrammen, Warengutscheinen oder Rabatten beim Werkseinkauf, räumt das Gesetz dem Verleiher die Möglichkeit ein, den Zeitarbeitskräften statt der tatsächlichen Gewährung einen Wertausgleich in Euro zu bezahlen.
Aber es bleibt problematisch, all das inhaltlich und bezüglich der Wertigkeit richtig zu beziffern. Was der Gesetzgeber eigentlich genau unter den „wesentlichen Arbeitsbedingungen“ verstanden wissen will, lässt er, wie bereits nach geltender Rechtslage, im Gesetz selbst weiterhin offen und tut der Personalpraxis damit keinen Gefallen. Zur Erleichterung der praktischen Umsetzung klingt nun in der Gesetzesbegründung immerhin an, dass bezüglich des Arbeitsentgelts eine Gleichbehandlung angenommen werden könne, wenn der im Entleiherbetrieb geltende Tariflohn gezahlt wird.
Bei Streiks in einem Betrieb galt bisher der allgemeine Grundsatz: „Wer trotzdem arbeiten will, darf auch!“ natürlich auch für die Zeitarbeitskräfte, wenn sie während eines Einsatzes in einem bestreikten Betrieb dort arbeiten wollten – sie mussten aber nicht, sondern hätten eine sog. Leistungsverweigerungsrecht. Jetzt dürften Zeitarbeitskräfte vom Entleiher überhaupt nicht mehr in einem unmittelbar bestreikten Betrieb eingesetzt werden. Nur wenn der Arbeitgeber sicherstellen kann, dass durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern keine Tätigkeiten der bestreikten Stammarbeitsplätze oder der streikenden Stammarbeitnehmer selbst übernommen werden, ist der Einsatz ausnahmsweise erlaubt.
Die Intention ist zunächst klar. Es soll nicht durch den Einsatz unbeteiligter Zeitarbeitskräfte die Wirkung eines Arbeitskampfes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer des Betriebes zunichte gemacht werden können. Schaut man parallel auf die neuere arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zum Thema Arbeitskampf, leuchtet auch ein, warum die Arbeitsgeber über gerade diese Regelung so aufgebracht sind. So ist es nach Ansicht des Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 22.09.2009 - 1 AZR 972/08 ) als Arbeitskampfmaßnahme in Ordnung, wenn ein Supermarkt durch eigentlich am Arbeitskampf Unbeteiligte und betriebsfremde Personen in einer sog. „Flashmob-Aktion“ vorübergehend verkaufsunfähig gemacht wird (in dem Fall war in einem Flashmob organisiert worden, dass viele Menschen zur gleichen Zeit einen Pfennigartikel kauften und damit den Kassenbereich blockierten. Andere Akteure des Flashmobs packten zur gleichen Zeit ihre Einkaufswagen voll und ließen sie stehen). Auf dieser Seite ist es also genehm, unbeteiligte Personen einzusetzen, um die Wirkung eines Arbeitskampfes zu erzielen. Da es aber auf der anderen Seite verboten sein soll, ebenso Unbeteiligte einzusetzen, um die Wirkung für den Betrieb zu mildern, wird zumindest das ungleiche Maß moniert.
9. Mehr Kontrolle über Werkverträge
Neben der Ersetzung von Belegschaftsteilen durch Zeitarbeitskräfte, ist der Politik vor allem die Verbreitung von solchen Werkverträgen ein Dorn im Auge, die nicht nur aufgrund einer arbeitsteiligen Wirtschaft geschlossen werden, sondern auch zum Aufstocken eigener Kompetenzen zu neuen Belegschaftsteilen geführt haben. Die Grenzen dessen, was wirtschaftsethisch noch opportun ist, sind freilich nicht mit dem Lineal zu ziehen.
Auf Basis der bisherigen Rechtslage entwickelte sich in den letzten Jahren die Praxis, tatsächlichen Unsicherheiten bei der Einordung eines Werkvertragsverhältnisses mit einer „vorsorglichen“ Überlassungserlaubnis für den Fremdpersonaleinsatz entgegenzuwirken. Man spricht dabei von einer sog. „Vorratserlaubnis“, die immer dann auf den Tisch gelegt wurde, wenn sich nachträglich herausstellte, dass ein gut gemeinter Werkvertrag tatsächlich als Arbeitnehmerüberlassung gelebt wurde, z.B. weil den im Einsatzbetrieb eingesetzten Arbeitskräften arbeitsrechtlich relevante Anweisungen gemacht wurden. Dann nämlich wird der Werkvertrag zu einer verdeckten (und erlaubnispflichtigen) Arbeitnehmerüberlassung, die ohne eine („Vorrats-„)Überlassungserlaubnis auch noch illegal wäre.
Diese Gestaltung gilt weithin als ein Missbrauch der Leiharbeit und soll nun dadurch verhindert werden, dass Verleiher und Entleiher einen Einsatz von Zeitarbeitskräften im Überlassungsvertrag wörtlich als „Arbeitnehmerüberlassung“ bezeichnen müssen. Einen eigentlich als Werkvertrag bezeichnetet Vertrag, kann man im Notfall also nicht mehr mit dem Fangnetz der vorsorglichen Überlassungserlaubnis retten.
Außerdem sollen künftig auch andere Formen der allzu kreativen Gewerbegestaltung in der Zeitarbeitsbranche unterbunden werden, mit denen die Verhältnisse verschleiert werden könnten. Dazu wird jede Form des Ketten-, Durchgangs-, Zwischen- oder Weiterverleihs gesetzlich untersagt sein. Es wird also nicht mehr möglich, die Zeitarbeit durch Subunternehmungen und Kettenaufträge zu strecken.
Auch ein Problem des öffentlichen Dienstes will man mit dem neuen Gesetzt endlich beseitigen: Nach dem bisherigen Wortlaut waren sog. Personalgestellungen, die vielfach nicht vorübergehend sondern langfristig oder mit offenem Ende erfolgten, nicht mit den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Arbeitnehmerüberlassung in Einklang zu bringen, wenn z.B. bei gemeindlichen Privatisierungen das bisherige Personal im öffentlichen Dienst bleiben, aber trotzdem beim neuen privaten Unternehmer noch Aufgaben weiter betreuen sollte. Diese Personaleinsätze waren aber auch nicht auf der Kurslinie des AÜG sondern eher im Strom der vielen Regelungen dorthin verrieben. Das wird das neue AÜG lösen, indem es solche Vorgänge aus dem Anwendungsbereich ausschließt.
10. Stärkung der Betriebsräte und Mitbestimmungsgremien
Die Bildung von Betriebsräten und deren Größe hängt ebenso wie bei anderen Mitbestimmungsgremien, z.B. dem Aufsichtsrat, von der Beschäftigtenzahl der Betriebe und Unternehmen ab. Da mitunter relevante Teile der Belegschaften nicht mehr aus eigenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bestanden, war die Forderung seit langem im Raum, die Rechte und Kapazitäten von Betriebsräten dahingehend zu stärken, sich auch an diesen Belegschaftsteilen zu orientieren. Nun müssen auch Zeitarbeitskräfte mitgezählt werden, die in den Betrieben eingesetzt sind. Der Einsatz muss dazu aber eine Dauer von sechs Monaten übersteigen. Etwas überraschend ist, dass dies auch gleich für den ganzen Bereich der Unternehmensmitbestimmung mitgelten soll. Das war im Koalitionsvertrag nicht verabredet worden.
Außerdem werden sich Betriebsräte leichter Informationen zu den in ihrem Betrieb ohne einen eigenen Arbeitsvertrag tätig werdenden Arbeitskräften verschaffen können.
Das neue AÜG soll nach dem Willen der Bundesregierung zum 01.04.2017 in Kraft treten. Es sorgte bereits im Entwurfsstadium für reichlich Vorbereitungsarbeit sowohl in der Zeitarbeitsbranche, deren Personalmanagementsysteme mit neuen Anforderungen und Einsatzzeiten werden umgehen müssen, als auch in Betrieben und Unternehmen, die sich vor dem Hintergrund des ernst gemeinten Fokus auf unlautere Beschaffung von Arbeitskräften auf neue Sorgfaltsmaßstäbe einstellen müssen. Dieses Ziel scheint der Gesetzgeber zu erreichen. Was das neue AÜG für die Zeitarbeit und ihre Funktion im Arbeitsmarkt bedeutet, wird man erst bewerten können, wenn sichtbar wird, inwieweit auch die Tarifpartner der verschiedenen Branchen ihre Spielräume nutzen.
Sven Spieler
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Teamlead HR Labor Relations des Gesundheitsunternehmens Roche
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