Die Regierungssuche und die Frage nach der Zukunft des Arbeitsrechts
Liebe Leserin, lieber Leser,
nach dem Wahlergebnis zu Bundestagswahl 2017 und aufgrund der (bisherigen) "Nichtberücksichtigung" der AfD für eine mögliche Koalition kommen nur CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne in Betracht, die Regierung zu bilden. Es lohnt sich deshalb ein arbeitsrechtlicher Blick auf die Kernthemen der jeweiligen Wahlprogramme dieser Parteien, um eine Vorstellung über die jeweiligen Positionen der Parteien zu erhalten. Wie ernst die Parteien mit ihren Forderungen wirklich machen, zeigt auch der letzte Stand der Jamaika-Verhandlungen:
Abschaffung bzw. die Einschränkung der sachgrundlosen Befristung
Die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsverhältnisses bedeutet, dass das Arbeitsverhältnis maximal zwei Jahre befristet werden kann, soweit "zuvor" zwischen den Arbeitsvertragsparteien kein Arbeitsverhältnis bestand. Innerhalb dieses Zwei-Jahres-Zeitraums kann die Befristung bis zu dreimal verlängert werden. In der Praxis ist die Befristung ein oft genutztes und wichtiges Flexibilisierungsinstrument.
SPD und die GRÜNEN fordern die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. Die SPD möchte sogar die Befristung mit Sachgrund (z.B. Vertretung während der Elternzeit oder Projekttätigkeiten) einschränken. CDU/CSU plant weiterhin die Zulässigkeit der sachgrundlosen Befristung und möchte nur etwaigen Missbrauch bekämpfen. In den Jamaika-Sondierungsgesprächen bestand wohl bereits Einigkeit, dass die sachgrundlose Befristung grundsätzlich erhalten bleiben, der Missbrauch jedoch bekämpft werden soll.
Ausdehnung der unternehmerischen Mitbestimmung
Unternehmerische Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) bedeutet, dass bei Unternehmen und Konzernen mit Sitz in Deutschland, insbesondere in der Rechtsform der AG oder der GmbH und mit in der Regel mehr als 2.000 beschäftigte Arbeitnehmer der Aufsichtsrat zu 50 Prozent aus Vertretern der Arbeitnehmer besteht. Die unternehmerische Mitbestimmung wird von Unternehmen teilweise als Eingriff in die unternehmerische Freiheit angesehen. Mit zulässigen Vermeidungsstrategien verringert sich deshalb die Anzahl der Unternehmen mit mitbestimmtem Aufsichtsrat stetig.
Die SPD und die GRÜNEN fordern deshalb die Ausdehnung der unternehmerischen Mitbestimmung, indem der Schwellenwert von 2.000 beschäftigten Arbeitnehmern auf 1.000 abgesenkt werden soll. Schlagartig würde eine Vielzahl an Unternehmen plötzlich dem MitbestG unterliegen und müssten einen paritätisch mit Arbeitnehmervertretern besetzten Aufsichtsrat bilden. Stand der Jamaika-Verhandlungen war, dass die unternehmerische Mitbestimmung nicht ausgedehnt werden soll.
Rückkehrrecht in Vollzeit
Teilzeit ist in Deutschland auf Basis der Elternzeit (§ 15 BEEG) oder gemäß § 8 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) möglich. Nach Ablauf der Elternzeit lebt das ursprüngliche (Vollzeit-)Arbeitsverhältnis automatisch wieder auf. Bei der Teilzeit ohne Elternzeit (§ 8 TzBfG) ist eine Rückkehr automatisch nicht möglich, sondern bedarf der Zustimmung des Arbeitgebers oder einem Antrag auf Verlängerung gemäß § 9 TzBfG. Es wird deshalb von "Teilzeitfalle" gesprochen.
Die SPD und die GRÜNEN fordern ein Rückkehrrecht auf den ursprünglichen Stundenumfang. In den Wahlprogrammen von CDU/CSU und FDP ist hierzu nichts enthalten. Stand der Jamaika-Verhandlungen war wohl, dass es ein Rückkehrrecht in Vollzeit geben soll, die Voraussetzungen blieben jedoch umstritten.
Verschärfung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)
Das AÜG ist seit seinem Inkrafttreten im Jahre 1995 umstritten. Zuletzt wurde das AÜG 2017 verschärft um den Missbrauch zu verhindern.
Die SPD und die GRÜNEN verlangen nun eine weitere Verschärfung des AÜG dahingehend, dass der equal-pay-Grundsatz bei der Leiharbeit bereits vom ersten Tag an Anwendung findet. In der Praxis wird equal-pay aufgrund von kollektivrechtlichen Vereinbarungen in der Regel erst nach 9 Monaten gewährt. Die GRÜNEN haben in den Jamaika-Sondierungsgesprächen ihr Forderung wohl aufgegeben und von einer erneuten Verschärfung abgesehen.
Lockerung des Arbeitszeitgesetzes
Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) ist veraltet und passt nicht mehr zu den modernen Arbeitsmodellen. Insbesondere die werktägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden oder die Ruhezeit zwischen dem Arbeitsende und dem Beginn der Arbeitszeit am nächsten Tag von elf Stunden ist in der Kritik.
Die CDU/CSU und die FDP fordern eine Anpassung und Flexibilisierung des ArbZG. Die FDP möchte zukünftig keine werktägliche, sondern nur eine wöchentliche Höchstarbeitszeit gesetzlich verankern. Für die SPD kommt eine Lockerung des ArbZG in Betracht, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitszeit mehr selbstgestalten kann. Die fordern, dass dem Arbeitnehmer mehr Mitspracherecht über den Umfang, die Lage und den Ort seiner Arbeit haben sollen. Ebenso soll durch Wahlarbeitszeiten zwischen 30 und 40 Wochenstunden die Vollzeit neu definiert und so zu einem flexiblen Arbeitszeitkorridor umgestalten werden. Eine Einigung konnte bei den Jamaika-Verhandlungen nicht gefunden werden.
Erleichterung der Dokumentationspflichten beim Mindestlohn
Seit der Einführung des Mindestlohngesetztes (MiLoG) war weniger die Bezahlung des Mindestlohns als vielmehr die umfangreichen und nicht praktikablen Dokumentationspflichten in der Kritik.
Die CDU/CSU hat sich dieser Kritik angenommen und fordert den Abbau der Bürokratie im Bereich des Mindestlohns, insbesondere die Reduzierung der Dokumentationspflichten. Die SPD verlangt hingegen eine Verschärfung des MiLoG und fordert die Abschaffung der Ausnahmen für Langzeitarbeitslose. Die GRÜNEN fordern unter anderem, dass die Mindestlohnkommission erweitert wird, in dem auch die Wissenschaft ein Stimmrecht bekommt. Die Frage bezüglich des Mindestlohns blieb bei den Sondierungsgesprächen aufgrund fehlender Kompromissbereitschaft offen.
Es bleibt nun abzuwarten, welche Parteien die Regierung bilden werden und welche Forderungen in welchem Umfang durchgesetzt werden können. Sobald es Neuerungen gibt, werde ich Sie auf dem Laufenden halten und Ihnen mit Rat und Tat beiseite stehen.
Herzliche (arbeitsrechtliche) Grüße,
Ihr Dr. Erik Schmid

