Auswahlverfahren
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
wie Sie von mir gewohnt sind, nutze ich diesen Blog immer mal wieder, um über Probleme des AGG in Zusammenhang mit Auswahlverfahren zu berichten. Jüngst hat sich das LAG Sachsen-Anhalt in seiner Entscheidung vom 28.3.2023, Az. 4 Sa 186/221 mit der Frage einer potentiellen Benachteiligung einer schwerbehinderten Bewerberin in einem Stellenbesetzungsverfahren auseinanderzusetzen. Im Wesentlichen ging das Gericht der Frage nach, unter welchen Umständen im Einzelfall die Arbeitgeberin bzw. der Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft der Bewerberin oder des Bewerbers bzw. deren/dessen Gleichstellung hätte kennen müssen. Das Besondere an dem Verfahren war, dass die ausgeschriebenen Stellen mit internen Bewerbern zu besetzen waren.
Der Entscheidung lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Die spätere Klägerin stand auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags mit dem beklagten Land in der Zeit vom 15.02.2021 bis zum 14.02.2022 in einem Arbeitsverhältnis als vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmerin. Der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 zuerkannt, zudem ist sie einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
Das beklagte Land veröffentlichte im ersten Halbjahr des Jahres 2021 zwei Stellenausschreibungen. Gesucht wurde ein/e Sekretär/in für die Naturwissenschaftliche Fakultät II und III. In den Stellenausschreibungen wurden unter anderem gute Englischkenntnisse in Sprache und Schrift gefordert. Die Klägerin bewarb sich mit Schreiben vom 10.5.2021 auf beide Ausschreibungen, wobei Sie insoweit im Bewerbungsschreiben nicht auf ihre Gleichstellung hingewiesen hat. Auf die Bewerbung(en) der Klägerin reagierte das jeweilige Institut nicht.
Nachfolgend machte die Klägerin arbeitsgerichtlich auf der Grundlage der Vorschriften des AGG Entschädigungsansprüche geltend, weil sie entgegen der gesetzlichen Verpflichtung des § 165 Satz 3 SGB IX auf ihre beiden Bewerbungen nicht zu einem Vorstellungsgespräch von dem beklagten Land eingeladen worden sei.
Das in erster Instanz angerufene ArbG Halle hat das Klagebegehren zurückgewiesen, das LAG Sachsen-Anhalt gab diesem statt, lies allerdings die Revision zum Bundesarbeitsgericht zu. Dort wird das Verfahren unter dem Aktenzeichen 8 AZR 143/23 geführt.
Das LAG Sachsen-Anhalt hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
-
Die allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch, der nach § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG fristgerecht geltend gemacht worden sei, seien unzweifelhaft gegeben. So sei der persönliche Anwendungsbereich des AGG eröffnet (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG), die Klägerin sei durch die Nichtberücksichtigung im Auswahlverfahren auch nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG unmittelbar benachteiligt worden.
-
Bei der Frage, ob die Beklagte damit gegen das in § 7 Abs. 1 AGG statuierte Benachteiligungsverbot verstoßen habe, komme es insbesondere darauf an, ob zwischen der benachteiligenden Handlung und dem Merkmal der Behinderung (§ 1 AGG) ein Kausalzusammenhang bestehe, wobei insoweit die in § 22 AGG hier für die Bewerberin geltenden Beweislasterleichterung zu beachten sei.
Hierzu sei Folgendes zu sagen:
-
Die Beklagte habe unzweifelhaft gegen ihre nach § 165 Satz 3 SGB IX bestehende Pflicht verstoßen, die Klägerin, die das Anforderungsprofil für die ausgeschriebenen Stellen erfüllt habe, zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.
-
Grundsätzlich müsse eine Bewerberin oder ein Bewerber die Arbeitgeberin oder den Arbeitgeber über ihre/seine Schwerbehinderteneigenschaft bzw. Gleichstellung unter Angabe des GdB entweder im Anschreiben oder im Lebenslauf unterrichten, um sich später auf die im SGB IX für diesen Personenkreis enthaltenen Schutzvorschriften berufen zu können. Dies war in dem zu entscheidenden Fall jedoch nicht der Fall.
-
Ein nochmaliger Hinweis sei allerdings hier entbehrlich gewesen, da die zentrale Personalabteilung bereits über das Vorliegen der Gelichstellung in Kenntnis gesetzt gewesen sei.
Damit hätte das „ausschreibende“ Institut ohne besonderen Aufwand in der Zentralverwaltung abfragen können bzw. müssen, ob die Klägerin schwerbehindert oder gleichgestellt ist. Einer entsprechenden Abfrage stünden auch die datenschutzrechtlichen Bestimmung der §§ 9 Abs. 2 Buchst. b und 26 Abs. 3 Satz 1 BDSG nicht entgegen.
Fazit für Sie!
Nicht nur im Hinblick auf die Vielzahl von durchzuführenden Stellenbesetzungs- und Auswahlverfahren empfiehlt es sich, ein gut funktionierendes Personalmanagement vorzuhalten, um zentralisiert auf wichtige Beschäftigtendaten zurückgreifen zu können.
Mit diesen Hinweisen verabschiede ich mich für heute von Ihnen.
Herzliche Grüße
Ihr
Boris Hoffmann
1 LAG Sachsen-Anhalt 28.3.2023 – 4 Sa 186/22, ZTR 2023, 538.
