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Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung

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Der Öffentliche Arbeitgeber darf grundsätzlich nach seinen eigenen Bedürfnissen entscheiden, wie er seine Stellen zuschneidet. Doch auch er hat hierbei die Vorgaben des Grundgesetzes zu beachten.

Urteil des LAG Rheinland-Pfalz 21.4.2023 – 1 Sa 195/22

Leitsätze:

  1. Ob ein schwerbehinderter Mensch im Sinne des § 165 Satz 4 SGB IX für eine zu besetzende Stelle fachlich ungeeignet ist, ist anhand eines Vergleichs zwischen dem Anforderungsprofil des zu besetzenden Arbeitsplatzes und dem fachlichen Leistungsprofil des Bewerbers zu ermitteln.

  2. Allein die beabsichtigte Eingruppierung in die Entgeltgruppe E 9 TVöD rechtfertigt es nicht, die Absolvierung des Angestelltenlehrgangs II nach § 2 Abs. 1 des Bezirktarifvertrags Rheinland-Pfalz über die Ausbildungs- und Prüfungspflicht der Beschäftigten, als keiner weiteren Begründung erfordernde Anforderung anzusehen.

Der Fall:

Am 20.10.2021 veröffentlichte die Stadtverwaltung ein Stellenangebot für die Sachgebietsleitung Beitreibung und Vollstreckung – Innendienst (Besoldungsgruppe A 1 0 LBesG oder Entgeltgruppe E 9c TVöD). In der Stellenausschreibung wurde unter anderem die Befähigung für das dritte Einstiegsamt der Laufbahn Verwaltung und Finanzen (Laufbahnprüfung für den gehobenen Dienst) bzw. der Angestelltenlehrgang II für eine Einstellung erwartet. Mit Schreiben vom 30.10.2021 bewarb sich der spätere Kläger auf diese Stelle. Er wies hierbei in seinem tabellarischen Lebenslauf auf seine Schwerbehinderung und den GdB von 50 hin. Ferner fügte er der Bewerbung eine Kopie seines Schwerbehindertenausweises bei. An einem Angestelltenlehrgang II nahm der Kläger bis dato nicht teil.

Der Kläger wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Mit Email vom 20.12.2021 teilte die Stadtverwaltung dem Kläger mit, dass seine Bewerbung nicht berücksichtigt werden konnte. Mit fristgerechtem Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 19.01.2022 machte der Kläger eine Entschädigung nach dem AGG geltend. Da die Stadtverwaltung dem nicht entsprach, erhob der Kläger rechtzeitig am 30.3.2022 Klage beim Arbeitsgericht Ludwigshafen.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz sah die Sache anders und sprach dem Kläger eine Entschädigung in einer Höhe von 6.200 Euro zu. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen.

Die Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass dem Kläger ein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zustehe.

1. Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot

Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzte genau wie der in § 15 Abs. 1 AGG enthaltene Schadensersatzanspruch einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus, wobei § 7 Abs. 1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen (§ 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG) wegen eines in § 1 AGG benannten Grundes (u. a. wegen der Behinderung) verbiete. Zudem dürften Arbeitgeber nach § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu nach § 164 Abs. 2 Satz 2 SGB IX die Regelungen des AGG.

Die entsprechenden Voraussetzungen lägen im streitbefangenen Sachverhalt unstrittig vor. Vor allem habe der Kläger, wie vom Bundesarbeitsgericht gefordert, an exponierter Stelle, hier im Lebenslauf, ausdrücklich auf seine Schwerbehinderteneigenschaft hingewiesen.

2. Erforderlicher Kausalzusammenhang zwischen der Benachteiligung und der Behinderung

Das Gericht stellte darüber hinaus fest, dass der Kläger die Benachteiligung im Auswahlverfahren auch wegen seiner Schwerbehinderung erfahren hat.

Wie so häufig war auch in diesem Klageverfahren für dessen Ausgang die in § 22 AGG enthaltene Beweislasterleichterung für den Kläger entscheidend. Danach gilt nach der Rechtsprechung Folgendes:

Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch ist allerdings entbehrlich, wenn die Bewerberin oder der Bewerber die fachliche Eignung offensichtlich, also auf dem „ersten Blick“ fehlt.

Ein, in einer Stellenausschreibung mitgeteiltes, Anforderungsprofil muss allerdings den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG Rechnung tragen.

Hierzu stellte das Gericht folgendes fest:

  1. Die Stadtverwaltung habe die „Unter wir erwarten“ aufgeführte Anforderung „Angestelltenlehrgang II“ als zwingendes Auswahlkriterium bestimmt.

  2. Eine Einengung des Kreises der nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu vergleichenden Bewerberinnen und Bewerber dürfe nur aus sachlichen Erwägungen erfolgen. Die Festlegung des Anforderungsprofils müsse deshalb im Hinblick auf die Anforderungen der zu besetzenden Stelle sachlich nachvollziehbar sein (stellenbezogene Betrachtungsweise).

Da die Stadtverwaltung diesem Nachweis schuldig blieb, gab das Landesarbeitsgericht dem Kläger dem Grunde nach Recht.

Prof. Dr. Boris Hoffmann

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