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Bereitschaftszeiten (Schul-)Hausmeister – „nicht unerheblicher Umfang“

Verteilung der Darlegungs- und Beweislast in Überstundenvergütungsprozessen

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Liebe Leserin, lieber Leser,

in meinem heutigen Blog darf ich Ihnen eine für die Praxis sehr wichtige Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 4.7.2024, Az. 6 AZR 200/231 vorstellen. Im Kern geht es um die Vergütung von Bereitschaftsdienstzeiten von Schulhausmeistern und zwar im Lichte der Sonderregelung im Anhang zu § 9 TVöD-V.

Sponer † / Steinherr † / Donath / Kapitza † / Wollensak

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Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger ist bei der beklagten Stadt seit 1993 als Schulhausmeister tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sind der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) sowie der Landesbezirkliche Tarifvertrag vom 19.12.2006 zum TVöD im Bereich des KAV Nordrhein-Westfalen (TVöD-NRW) in ihrer jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Der Kläger hatte eine tägliche Arbeitszeit von 06:30 Uhr bis 16:21 Uhr montags bis freitags, in die eine halbstündige Pause sowie regelmäßig Bereitschaftszeiten fielen. Die sich hiernach ergebende wöchentliche Arbeitszeit von 46,75 Stunden vergütete die Beklagte im Umfang von 31,25 Stunden voll und im Umfang von 15,5 Stunden als Bereitschaftszeit faktorisiert zur Hälfte. Weder der Kläger noch die Beklagte verfügen über Aufzeichnungen über den tatsächlichen Anteil der in diesen Monaten angefallenen Arbeits- sowie Bereitschaftszeiten.

Die Parteien streiten vor dem Hintergrund der Frage, ob und in welchem Umfang Anwesenheitszeiten des Klägers nur anteilig als Arbeitszeit zu werten sind, weil es sich um Bereitschaftszeiten handelt, um Differenzvergütungsansprüche für die Monate Februar bis Juli 2021.

Das Arbeitsgericht Essen hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat hingegen die Beklagte zur Zahlung verurteilt. Der sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat das Klagebegehren jedoch wieder zurückgewiesen und der Revision der Beklagten stattgegeben.

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Das sind die wesentlichen Entscheidungsgründe:

  1. Der Anhang zu § 9 TVöD-V enthalte eine Sonderregelung zu § 6 Abs. 1 Satz 1 TVöD-V, dessen Anwendungsbereich eröffnet sei, wenn die Bereitschaftszeiten regelmäßig und in nicht unerheblichen Umfang anfallen.  Nicht schon mit dem Tabellenentgelt abgegoltene Überstunden könnten in diesem Zusammenhang nur entstehen, wenn der Beschäftigte in der Summe aus Vollarbeitszeiten und faktorisierten Bereitschaftszeiten mehr als durchschnittlich 39 Stunden in der Woche für den Arbeitgeber tätig gewesen ist. Zudem müssten die weiteren Voraussetzungen des § 7 Abs 7 TVöD-V vorliegen.

  2. Beruft sich der Arbeitgeber auf die für ihn im Einzelfall günstigere Regelung im Anhang zu § 9 TVöD-V müsse er die dort normierten Voraussetzungen darlegen und im Bestreitensfall beweisen. Soweit eine typische (Schul-)Hausmeistertätigkeit vorliege, könne jedoch grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der Anwendungsbereich des Abschnitts A des Anhangs zu § 9 TVöD-V eröffnet ist.

  3. In diesem Fall müsse der Hausmeister darlegen und beweisen, dass er gleichwohl nicht in den Anwendungsbereich der Bestimmung fällt. Insoweit seien ihm regelmäßig drei Möglichkeiten eröffnet: So könne er sich darauf berufen, dass

    • bei den Tätigkeiten, die typischerweise mit Bereitschaftszeiten verbunden sind, in seinem Fall ausnahmsweise die Zeiten mit Arbeitsleistung überwiegen oder dass

    • bei ihm Bereitschaftszeiten nicht regelmäßig bzw. nur in unerheblichem Umfang anfallen oder dass

    • seine Arbeit nicht durch typische (Schul-)Hausmeistertätigkeiten geprägt ist.

Da dem Kläger ein entsprechender Nachweis vor Gericht nicht gelang, ging das Bundesarbeitsgericht davon aus, dass der Anwendungsbereich des Anhangs zu § 9 TVöD-V eröffnet gewesen ist. Da der Kläger zudem nicht darlegen konnte, dass er unter Berücksichtigung des Durchschnittszeitraums des § 6 Abs. 2 TVöD-V Arbeit über die tarifvertraglich vorgegebene Normalarbeitszeit von 39 Stunden wöchentlich hinaus erbracht hat, wies das Bundesarbeitsgericht die Klage ab. Denn damit hatte die beklagte Stadt „richtig abgerechnet“.

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Fazit für Sie!

  • Kann der mit typischen (Schul-)Hausmeistertätigkeiten beschäftigte Arbeitnehmer nicht nachweisen, dass die Voraussetzungen des Abschnitts A des Anhangs zu § 9 TVöD-V nicht vorliegen, können Sie Bereitschaftszeiten gemäß dessen Satz 5 nur mit dem Faktor 0,5 als tarifliche Arbeitszeit werten.
  • Das bedeutet aber nicht, dass gleichsam automatisch von einem Bereitschaftszeitanteil von zumindest 25 % auszugehen ist und Sie für einen darüberhinausgehenden Bereitschaftszeitanteil darlegungs- und beweisbelastet sind. Vielmehr gilt die normale Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess.

    Hinweis! Die vom Gerichtshof der Europäischen Union anerkannte Pflicht des Arbeitgebers zur Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Erfassung der geleisteten täglichen Arbeitszeit ändert an der Darlegungs- und Beweislast in Überstundenvergütungsprozessen nichts.

Herzliche Grüße

Ihr
Boris Hoffmann


1 BAG 4.7.2024 – 6 AZR 200/23, ZTR 2024, 565.

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