Urteilsbesprechung zum Urteil BVerwG, vom 14.12.2017 – 4 C 9.16
Wann stellt ein Anbau zu einem Wohngebäude eine (untergeordnete) Nebenanlage dar, wann ist er Teil des Hauptgebäudes und hat damit Vorbild- bzw. prägende Wirkung?
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte dieses klassische Praxisproblem in der vorliegenden Entscheidung zu beurteilen und stellt ausführlich den anzusetzenden gesetzlichen Maßstab dar.
Der Kläger begehrt eine Baugenehmigung u.a. für eine Dachterrasse, die er auf einem Anbau zu einem Mehrfamilienhaus errichtet hat. Auf dem Vorhabengrundstück befindet sich ein dreigeschossiges Mehrfamilienhaus, die umliegenden Grundstücke sind mit Wohnhäusern bebaut, ein Bebauungsplan besteht nicht. An den rückwärtigen Teil des Wohnhauses wurde ein Anbau errichtet, der eingeschossig ist und eine Größe von etwa 15 qm hat. Für den Anbau wurde eine Nachtragsgenehmigung erteilt. Demnach ist eine Nutzung als „Abstellraum“ vorgesehen. Auf diesen Anbau befindet sich die Dachterrasse, deren Genehmigung der Kläger begehrt.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hielt diese Entscheidung mit der Begründung, dass sich das Vorhaben nicht einfüge in die nähere Umgebung aufgrund der überbaubaren Grundstücksfläche, da im rückwärtigen Bereich der Grundstücke die Umgebung, inklusive dem Vorhabengrundstück, eine faktische Baugrenze aufweise. Der bestehende Anbau samt Dachterrasse (der diese Baugrenze überschritt) könne hier keine Berücksichtigung finden, da er als nicht prägende Nebenanlage zum Haupthaus zu qualifizieren sei. Er sei ein „Anhängsel“, bloß eingeschossig und nicht unterkellert.
Das BVerwG hob diese Entscheidung des OVG Münster nun auf.
Entscheidende Frage sei zunächst nicht, ob die Nebenanlage, vorliegend der Anbau, untergeordnet sei im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO (dies ist der Fall, wenn die Anlage sowohl in ihrer Funktion als auch räumlich-gegenständlich dem primären Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke sowie der diesem Nutzungszweck entsprechenden Bebauung dienend zu- und untergeordnet ist). Vielmehr sei zuvorderst zu klären, ob die Anlage überhaupt eine Nebenanlage darstellt, oder ob sie nicht vielmehr als ein Teil der Hauptanlage anzusehen ist.
Danach verneint das BVerwG vorliegend die Annahme einer Nebenanlage, da der Anbau kein eigenständiges Gebäude sei. Die Bauweise entspreche dem Hauptgebäude, der Anbau schließe nahtlos an das Haupthaus an, nutze die bisherige Außenwand als Zimmerwand, sei vom Wohnzimmer aus zugänglich und vergrößere die Erdgeschosswohnung um einen Raum. Neben diesen räumlich/optischen Kriterien ergebe sich dies auch aus funktionellen Gesichtspunkten. Der Raum sei vorliegend der Wohnnutzung angenähert (Das BVerwG traf mangels Erheblichkeit keine Aussage darüber, in welches Verhältnis zueinander räumliche und funktionelle Gesichtspunkte zu stellen sind).
Selbst wenn die Anlage jedoch nun als Teil des Hauptgebäudes zu qualifizieren ist, könnte sie dennoch im Rahmen der Vorbildwirkung bei Prüfung des Vorliegens der faktischen Baugrenze keine Berücksichtigung finden, da sie einen „Ausreißer″ darstellt.
Dr. Timm Waldmann, Juli 2018

