Zur Prüfung stehendes Vorhaben als Gegenstand der bauplanungsrechtlichen Beurteilung nach § 34 Abs. 2 BauGB, BVerwG, Urt. 06.06.2019 – 4 C 10.18
I. Dem Fall lag vereinfacht folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Beigeladene/Bauherr betrieb ein Fuhrunternehmen. Auf dem Vorhabengrundstück befand sich eine genehmigte Garage für 2 LKW. Tatsächlich wurde der Betrieb – auch auf dem späteren Vorhabengrundstück – ausgebaut. Die Fahrzeuge wurde auf dem späteren Vorhabengrundstück gewartet und repariert, die Garage diente als Werkstatt, auf dem Grundstück befand sich eine Dieseltankstelle. Der Beigeladene beantragte dann Jahre später die streitgegenständliche Baugenehmigung, unter anderem für die Errichtung der Dieseltankstelle, die Umnutzung der Garage als Wartungspunkt und die Nutzung der Freiflächen als Abstellplätze für LKW. Der Kläger ist Nachbar des Vorhabengrundstücks, dessen Grundstück mit einem Einfamilienhaus bebaut ist. Er beruft sich auf den Gebietserhaltungsanspruch.
II. Im Mittelpunkt der rechtlichen Überlegungen stand die Frage, ob das zur Entscheidung stehende Vorhaben miteinzubeziehen ist bei der Prüfung, ob die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der BauNVO (im zu entscheidenden Fall einem Dorfgebiet) entspricht.
1. Das BVerwG stellte eine Rechtsverletzung des Klägers durch die erteilte Baugenehmigung fest und führte zu § 34 Abs. 2 BauGB in genereller Hinsicht Folgendes aus:
Entspreche innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der BauNVO, beurteile sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art gemäß § 34 Abs. 2 BauGB allein danach, ob es nach dieser Verordnung allgemein zulässig wäre. Es finde zusätzlich § 31 Abs. 1 BauGB (ausnahmsweise Zulässigkeit), im Übrigen § 31 Abs. 2 BauGB entsprechend Anwendung. § 34 Abs. 2 BauGB gewähre Nachbarschutz, soweit die nähere Umgebung reiche. Maßgebliche nähere Umgebung sei die Umgebung, insoweit sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken könne und insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugebiets präge oder doch beeinflusse.
Es sei zutreffend auch das Vorhabengrundstück für die Beurteilung der Eigenart der näheren Umgebung in den Blick zu nehmen. Denn die Eigenart der näheren Umgebung werde durch dasjenige bestimmt, was auf dem Baugrundstück selbst und in der näheren Umgebung tatsächlich vorhanden sei. Auch das Vorhabengrundstück ist damit Teil der näheren Umgebung.
2. Zu nicht genehmigten Vorhaben als maßstabsbildend merkt das BVerwG an:
Die fehlende Genehmigung für das tatsächliche Betriebsgeschehen auf dem Vorhabengrundstück schließe nicht von vorneherein aus, es bei der Beurteilung der Eigenart der näheren Umgebung zu berücksichtigen. Für die Beurteilung sei Alles in den Blick zu nehmen, was tatsächlich vorhanden sei und nach außen wahrnehmbar in Erscheinung trete. Außer Acht gelassen dürfe lediglich, was die Bebauung nicht präge, weil es nicht die Kraft habe, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, oder in ihr gar als Fremdkörper erscheine.
Ob eine vorhandene, nicht genehmigte Bebauung bei der Bestimmung der näheren Umgebung zu berücksichtigen ist, hänge – wie bei der Bestimmung des Bebauungszusammenhangs – davon ab, ob diese in einer Weise geduldet werde, die keinen Zweifel daran lasse, dass die zuständigen Behörden sich mit ihrem Vorhandensein abgefunden hätten.
3. Aber: Ist ein Vorhaben maßstabbildend, das nicht genehmigt und selbst zur Genehmigung gestellt und damit Gegenstand der bauplanungsrechtlichen Beurteilung ist? Das BVerwG:
Der Wortlaut des § 34 Abs. 1 und 2 BauGB unterscheide zwischen dem Vorhaben und der näheren Umgebung. Das Vorhaben sei nicht Teil seiner näheren Umgebung, sondern müsse sich in diese einfügen. Ungenehmigte Anlagen und Nutzung mögen daher zwar für andere Vorhaben Teil der näheren Umgebung sein, sie seien aber selbst nicht zugleich Vorhaben und Umgebung. Bei der Ermittlung des Gebietscharakters sei ein Bauvorhaben daher unbeachtlich, das als Gegenstand der Prüfung nicht zugleich Prüfungsmaßstab sein könne. Jedenfalls bei der Prüfung nach § 34 Abs. 2 BauGB, ob die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete nach der BauNVO entspreche, sei ein bereits verwirklichtes Vorhaben nicht zu berücksichtigen, das selbst Gegenstand der bauplanungsrechtlichen Beurteilung sei. Dies müsse gerade auch im Nachbarrechtsstreit gelten, da es § 212a BauGB dem Bauherrn ermögliche, vor Beendigung des gerichtlichen Rechtsstreits wegen Anfechtungsklage mit dem Bau zu beginnen; damit wäre es dem Bauherrn möglich, ein in einem faktischen Baugebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB eigentlich unzulässiges Vorhaben durch die Vollendung des Vorhabens und damit Schaffung einer Gemengelage zu verwirklichen. Damit würden Fakten geschaffen, ohne, dass dem Nachbarn effektiver Rechtsschutz möglich sei.
Dr. Timm Waldmann, Oktober 2019

