Kopftuchverbot für islamische Lehrerinnen ist verfassungswidrig
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
das höchste deutsche Gericht hat seine im Jahr 2003 geäußerte Rechtsauffassung zum „Kopftuchverbot“2 mit der oben genannten Entscheidung jetzt grundlegend geändert.
Gegenstand der Verfassungsbeschwerden war die Regelung des § 57 Abs. 4 SchulG NRW (siehe unten), nach welcher das Verbot des Tragens von Kopftüchern für Lehrpersonen generell untersagt werden konnte. Diese Rechtsgrundlage ist jedoch – so das BVerfG –verfassungswidrig.
Das Gericht begründete seine neue Rechtsauffassung damit, dass der durch das Verbot zum Ausdruck kommende Eingriff in die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG) unverhältnismäßig sei, weil dadurch eine bloße abstrakte Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität für die Untersagung genüge. Der staatliche Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) könne ein Verbot aber erst dann rechtfertigen, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität feststellbar sei. Ein Verbot, das lediglich an eine abstrakte Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität anknüpft, verdränge in unangemessener Weise deren Grundrecht auf Glaubensfreiheit. Darüber hinaus könne allenfalls ein verfassungsrechtlich anzuerkennendes Bedürfnis bestehen, religiöse Bekundungen allgemein zu unterbinden, wenn eine hinreichend konkrete Gefährdung des Schulfriedens gegeben sei.
Weiterhin entschied das BVerfG:
Werden religiöse Bekundungen durch Lehrer in der Schule untersagt, so muss dies grundsätzlich unterschiedslos geschehen. Es ergeben sich danach für eine Bevorzugung christlich und jüdisch verankerter religiöser Bekundungen ebenso wenig tragfähige Rechtfertigungsmöglichkeiten wie für eine Benachteiligung äußerer religiöser Bekundungen, die sich nicht auf christlich-abendländische Kulturwerte und Traditionen zurückführen lassen.
Fazit: Das Tragen von Kopftüchern im Unterricht ist künftig grundsätzlich erlaubt!
Kritik:
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Das Bundesverfassungsgericht hat nicht dazu Stellung genommen, unter welchen Voraussetzungen eine „konkrete“ Gefahr für die Neutralität oder den Schulfrieden in der Praxis der Schulverwaltungen bestehen kann, die das Verbot des Tragens eines Kopftuches im Einzelfall rechtfertigt. Weitere Rechtsstreitigkeiten sind also vorprogrammiert.
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Die gesetzgeberische Regelungsbefugnis schließt die Möglichkeit ein, auch durch das äußere Erscheinungsbild einer Lehrkraft vermittelte religiöse oder politische Bezüge von den Schülern bereits im Ansatz fernzuhalten, um Konflikte von vornherein zu vermeiden. Es ist den Landesgesetzgebern zuzubilligen, schon der abstrakten Gefahr für den Schulfrieden und die staatliche Neutralität durch eine generelle – gesetzliche – Regelung des äußeren Erscheinungsbildes der Lehrer entgegenzuwirken. Die Gestaltungsfreiheit der Landesgesetzgeber wird durch die Entscheidung des BVerfG in unzutreffender Weise beeinträchtigt.
Lesen Sie zu den Einzelheiten der Entscheidung auch die Beiträge:
Debatte um Lehrerinnen mit Kopftuch
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
§ 57 Abs. 4 SchulG NRW lautet:
„(1) Lehrerinnen und Lehrer dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. (2) Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Schülerinnen und Schülern oder den Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrerin oder ein Lehrer gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt. (3) Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags nach Artikel 7 und 12 Abs. 6 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1. (4) Das Neutralitätsgebot des Satzes 1 gilt nicht im Religionsunterricht und in den Bekenntnis- und Weltanschauungsschulen.“
Zur Glaubensfreiheit vgl. insbesondere:
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Summer in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, § 3 BeamtStG, Rn. 18 ff.
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Baßlsperger, Einführung in das Beamtenrecht (print). Seite 217.
2 Siehe BVerfG v. 24.9.2003 (Az.: 2 BvR 1436/02), BVerfGE 108, 282 = ZBR 2004, 137 = NJW 2003, 3111.

