Urlaubsrecht (I): EuGH bestätigt Kommentarmeinung bei Hüthig-Jehle-Rehm
Liebe Leserin, lieber Leser,
bei den neuen Urteilen geht es um die Frage, ob ein Urlaubsanspruch entfällt, wenn der Beamte es versäumt hat, einen Urlaubsantrag zu stellen, um die Frage der Aufklärungspflicht bei drohendem Urlaubsverfall, um die Rechtslage hinsichtlich des Abgeltungsanspruchs beim Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis und letztendlich um die Vererblichkeit von finanziellen Ansprüchen des Beamten aus dem Urlaubsrecht. Der EuGH hat dabei in seinen Entscheidungen vom 6.11.2018 gleich mehrere Aussagen getroffen, die künftig für das Beamtenrecht von enormer Bedeutung sind. Grundlage ist jeweils die Richtlinie 2003/88 der EU. Nach § 1 Abs. 3 dieser Richtlinie i.V.m. der Richtlinie 89/391/EWG gelten die darin enthaltenen Bestimmungen für alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie 89/391/EWG – und damit auch für Beamte.
Im Ausgangsfall (vgl.: EuGH v. 6.11.2018 – C-619/16 – Kreuziger) hatte ein Rechtsreferendar des Landes Berlin (für den das für Beamte geltende Urlaubsrecht anwendbar war/ist) während der letzten Monate seines juristischen Vorbereitungsdiensts keinen bezahlten Erholungsurlaub mehr genommen. Nach Beendigung seines Vorbereitungsdienstes beantragte er eine finanzielle Vergütung für die nicht genommenen Urlaubstage.
Nach dem EUGH ist es mit dem Europarecht nicht vereinbar, dass ein Urlaub alleine deswegen verfällt, weil der Beamte keinen entsprechenden Urlaubsantrag gestellt hat. Die sich aus dem Urlaubsrecht ergebenden Ansprüche bleiben vielmehr bestehen, wenn der Beschäftigte durch eine angemessene Aufklärung in der Lage war, seinen Urlaub rechtzeitig zu nehmen. Selbst für den Fall, dass der Dienstherr den Beamten tatsächlich auffordert, den Urlaub noch im laufenden Urlaubsjahr zu nehmen, der Beamte aber dann nur einen Teil des Urlaubs in Anspruch nimmt, muss dies noch nicht der Aufklärungspflicht genügen (vgl. EuGH v. 6.11.2018 – C-684/16 – Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften). Es bedarf vielmehr einer exakten Information über die Sach- und Rechtslage. Diese Auffassung wurde bereits seit langem in zwei Kommentaren des Verlages Hüthig-Jehle-Rehm vertreten und zwar von Baßlsperger in Weiß/Niedermaier/Summer, Beamtenrecht in Bayern, Art.93 BayBG, Rn. 65 und Rn. 72, sowie von Woydera in Woydera/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Sachsen, § 96 SächsBG Rn. 16. In diesen beiden Kommentaren wurde eine entsprechende Fürsorgepflicht des Dienstherrn für eine solche Aufklärung genannt und die gegenteilige, etwa vom Bundesverwaltungsgericht dargestellte Auffassung (vgl. etwa BVerwG v. 30.1.1997 – 2 C 10/96 – ZBR 1997, 231), eben nicht geteilt.
Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Beachtung der Verpflichtung des Dienstherrn zur Fürsorge nicht so weit gehen kann, von diesem zu verlangen, dass er seine Beamten zwingt, ihren Anspruch auf eine bezahlte Freistellung einzubringen. Es gibt keinen „Zwang zum Erholungsurlaub“ (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7.9.2006, Kommission/Vereinigtes Königreich, C-484/04, EU:C:2006:526, Rn. 43). Der Dienstherr muss den Beamten jedoch in die Lage versetzen, einen solchen Anspruch wahrzunehmen. Davon kann zum einen nur ausgegangen werden, wenn durch eine entsprechende Vertretungsregelung die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden und wenn der Dienstherr dadurch sicherstellt, dass der Urlaub dem Beamten noch die Erholung und Entspannung bieten kann, zu denen er beitragen soll. Dafür ist es aber auch erforderlich, dass er dem Beamten klar und rechtzeitig mitteilt, welche Urlaubstage noch offen sind und dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums ohne Ausgleichsanspruch verfallen wird.
Im Streitfall trifft den Dienstherrn für eine ausreichende Aufklärung die Feststellungs- und Beweislast. Anders ausgedrückt: Kann der Dienstherr den Beweis nicht führen, dass der Beamte aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage auf seinen Urlaub verzichtet hat, steht das Unionsrecht sowohl dem Verlust dieses Urlaubsanspruchs, als auch dem Verlust der finanziellen Vergütung (im Falle des Ausscheidens aus dem Dienst) entgegen.
Es muss allerdings davon ausgegangen werden, dass die angeführte Rechtsprechung wieder nur für den nach Art. 7 der Richtlinie 2003/88 geltenden unionsrechtlichen Mindesturlaubsanspruch von 20 Arbeitstagen pro Jahr Anwendung findet.
Konsequenz:
Letztendlich bedeutet diese Entscheidung, dass die einzelnen Dienstherren bzw. Beschäftigungsbehörden die Beamten rechtzeitig und ausdrücklich (schriftlich) dazu auffordern müssen, den Urlaub noch vor dessen Verfallsdatum zu beantragen und auch anzutreten. Ein Dienstherr kann sich keinesfalls (mehr) darauf berufen, der Beamte sei nicht daran gehindert gewesen, den Urlaub zu nehmen. Kann der Dienstherr hingegen beweisen, dass der Beamte aus freien Stücken und nach einer ausreichenden Aufklärung auf den Erholungsurlaub verzichtet hat, verfällt der Urlaubsanspruch oder eine entsprechende Ausgleichszahlung nach EU-Recht.
Einzelheiten zu der Problematik finden Sie insbesondere in dem Fachbeitrag:
Urlaubsrecht der Beamten – die neue EuGH-Rechtsprechung
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
Lesen Sie dazu auch die Beiträge:
- Urlaubsabgeltung und Urlaubszweck– ein Widerspruch?
zweiter Teil folgt:
- Urlaubsrecht (II): EuGH bestätigt Kommentarmeinungen bei Hüthig-Jehle-Rehm
Näheres finden Sie bei
- Weiß/Niedermeier/Summer, Art. 93 BayBG, Rn. 64a, Rn. 80 und Rn. 84
- Woydera/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Sachsen, § 96 SächsBG Rn. 16
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