Verlust der Dienstbezüge beim Fernbleiben vom Dienst
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Pflicht des Beamten zur Dienstleistung zur vorgeschriebenen Zeit und am vorgeschriebenen Ort ergibt sich dabei dem Grunde nach bereits aus § 61 Abs. 1 Satz 1 BBG (Bundesbeamte) und § 34 Satz 1 BeamtStG (Landes- und Kommunalbeamte). Diese Pflicht wird von der Rechtsprechung als eine Grundpflicht des Beamtenverhältnisses gesehen (BVerwG, Urt. v. 22.4.1991 –1 D 62/90 –). Näher konkretisiert wird diese Pflicht dann durch § 96 Abs. 1 Satz 1 BBG und dem jeweiligen Landesbeamtenrecht (vgl. z.B. Art. 95 Abs. 1 Satz 1 BayBG).
Bleibt der Beamte, Richter oder Soldat ohne Genehmigung schuldhaft dem Dienst fern, so verliert er nach § 96 Abs. 2 BBG und § 9 BBesG (vgl. auch das jeweilige Landesrecht) für die gesamte Zeit des Fernbleibens seine Bezüge. § 96 Abs. 2 BBG – und das entsprechende Landesrecht – setzen dabei voraus, dass der Verlust des Anspruchs auf Besoldung wegen Fernbleibens vom Dienst jeweils an anderer Stelle geregelt ist. Diese „andere Regelung“ ist in § 9 BBesG und dem entsprechenden Landesbesoldungsrecht gegeben.
Dabei bestehen folgende Grundsätze:
1. Der Besoldungsverlust tritt auch bei einem Fernbleiben vom Dienst nur für Teile eines Tages ein.
Bleibt der Beamte auch nur für eine Stunde dem Dienst fern, so verliert er hierfür seine anteilige Besoldung.
Der stundenweise Fortfall der Dienstbezüge wird für Lehrer nach dem Lehrdeputat (= Unterrichtsstundensoll) berechnet (HessVGH v. 19.2.1988 – DH 1857/85 –). Damit ist zwar der Schwellenwert höher als im Verwaltungsbereich, es ist aber keine praktikable Alternative erkennbar.
Kommt der Hochschullehrer schuldhaft seiner Pflicht nicht nach, die ihm nach dem Lehrplan obliegenden Vorlesungen zu halten, ist in der Regel davon auszugehen, dass er in dieser Zeit ebenso seine anderen Pflichten vernachlässigt hat. Er kann sich dann nicht darauf berufen, er habe geforscht bzw. sei künstlerisch aktiv gewesen (BVerwG, Beschl. v. 11.5.2000 – 1 DB 35/99 –).
2. Ein Fernbleiben vom Dienst führt zum Verlust der Besoldung, aber nur, wenn es schuldhaft ist.
Zur Tatbestandsmäßigkeit und zum Fehlen von Rechtfertigungsgründen muss Verschulden hinzutreten, um die besoldungsrechtliche Rechtsfolge des § 9 BBesG (und des entsprechenden Landesbesoldungsrechts) auszulösen. Ausgangspunkt des Verschuldens ist dabei stets die Schuldfähigkeit des Beamten (Zurechnungsfähigkeit).
Schuldunfähig ist, wer im Zeitpunkt des Fernbleibens vom Dienst wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht des Fernbleibens vom Dienst einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (OVG NRW, Urt. v. 23.1.1975 – V 6/74 – DÖD 1975).
Der Dienstherr kann dabei von der Schuldfähigkeit des Beamten, Richters oder Soldaten ausgehen, solange nicht begründete Zweifel an ihr bestehen (Summer in Schwegmann/Summer, § 9 BBesG, Rn. 12b).
Maßgebend für das Verschulden ist weiterhin grundsätzlich der disziplinarrechtliche Verschuldensbegriff (HessVGH, Beschl. v. 9.2.1989 – DH 1251/91 –; Summer in: Schwegmann/Summer, § 9 BBesG, Rn. 12a).
Es genügt für den Grad des ihm vorzuwerfenden Verschuldens bei der Frage des Besoldungsverlustes damit grds. schon jede Form von Fahrlässigkeit; es reicht also insbesondere bereits auch eine leichte Fahrlässigkeit aus (OVG RhPf v. 28.06.2018 – 2 A 11723/17 –).
Beispiel:
Ein dienstfähiger Beamter, der ungenehmigt keinen Dienst leistet, handelt hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „Dienstfähigkeit“ mit bedingtem Vorsatz, wenn er ernsthaft für möglich hält, dienstfähig zu sein, und im Hinblick darauf billigend in Kauf nimmt, die Dienstleistungspflicht zu verletzen.
Dagegen fällt ihm nur Fahrlässigkeit zur Last, wenn er die Dienstfähigkeit zwar aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten erkennen musste, aber darauf vertraute und vertrauen durfte, dienstunfähig zu sein und demzufolge nicht gegen die Dienstleistungspflicht zu verstoßen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9.4.2002 – 1 D 17.01 –).
Dadurch, dass der Verschuldensbegriff Vorsatz und Fahrlässigkeit umschließt, lösen sich die Fälle des Irrtums bereits durch den Übergang von Vorsatz in Fahrlässigkeit. Im Grunde kommt es nur darauf an, ob der Beamte entweder wusste oder wissen musste, dass er von der Dienstleistungspflicht weder entbunden noch an ihrer Erfüllung gehindert oder von ihr freigestellt war (Summer in: Schwegmann/Summer, § 9 BBesG, Rn. 12a).
Beispiel:
Der Beamte handelt schuldhaft, wenn er sich über die von der eigenen Einschätzung abweichende Meinung seines Dienstvorgesetzten hinwegsetzt, ohne das Problem – notfalls an höherer Stelle – geklärt zu haben (BVerwG, Beschl. v. 21.11.1989 – 1 DB 8/89 – BVerwGE 86, 211/217).
Vieles, was herkömmlich als Problem des Verschuldens gesehen wird, ist nach der der Kommentierung zugrunde gelegten Dogmatik bereits mit den Rechtfertigungsgründen abgetan, also im Prüfungsschema in die Frage der Rechtmäßigkeit des Fernbleibens vom Dienst vorverlagert (siehe zu den Rechtfertigungsgründen insbesondere das Stichwort: Fernbleiben vom Dienst).
3. Beweislastverteilung
Der Verlust ist vom Dienstherrn festzustellen (unten 5.).
Der Dienstherr trägt dann die materielle Beweislast für:
a) das Vorliegen der Tatsachen, die den Wegfall des Anspruchs auf Besoldung begründen sollen und zwar auch die für die Dienstfähigkeit des Beamten während des Fernbleibens vom Dienst (BayVGH v. 5.5.2003 – 16 DC 01.2048 – ZBR 2005, 58)
b) und für die Frage des Verschuldens (BVerwG, Beschl. v. 16.3.1984 – 1 DB 4/84 – BVerwGE 76, 142).
Den Beamten trifft die materielle Beweislast für evtl. vorliegende Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe.
4. Der Verlust der Besoldung umfasst grundsätzlich die gesamte Dauer der Abwesenheit.
Der Verlust der Dienstbezüge tritt nicht nur für die Tage ein, in welchen der Beamte Dienst zu leisten gehabt hätte, sondern umfasst auch dienstfreie Tage, die von Zeiten schuldhaften unerlaubten Fernbleibens umschlossen sind (BVerwG, Beschl. v. 20.7.1981 – 1 DB 5/81 – BVerwGE 73, 227/228 f.; BVerwG, Beschl. v. 25.4.1986 – 1 DB 18/86 – DokBer. B 1986, 167).
Der Verlust der Besoldung tritt auch beim Fernbleiben vom Dienst während eines Teils des Arbeitstages ein (siehe oben 1.). Als geringste zu berücksichtigende Zeiteinheit gilt die Stunde (BVerwG, Beschl. v. 1.9.1999 –1 DB 44/98 –).
Der entfallende Betrag an Besoldung berechnet sich bei tage- oder stundenweisem Fernbleiben nach dem konkreten Bruttomonatsbezug und entsprechend den konkreten Kalendertagen (BVerwG, Beschl. v. 28.4.1982 – 1 DB 8/82 –).
5. Zum Verlust der Dienstbezüge eine feststellende Entscheidung zu treffen. Ohne feststellende Entscheidung kann der Dienstherr keine Folgerungen aus § 9 BBesG (und dem entsprechenden Landesbesoldungsrecht) ziehen.
a) Bedeutung der Entscheidung
Die feststellende Entscheidung hat konstitutive Wirkung für die Rückforderung ohne Rücksicht auf die normative Grundlage des geltend gemachten Anspruchs (BVerwG, Urt. v. 21.10.1999 – 2 C 27/98 –).
- Die Feststellung ist daher als feststellender Verwaltungsakt zu qualifizieren (BVerwG, Urt. v. 21.10.1999 – 2 C 27/98 –).
- Die Feststellungsentscheidung kann auch auf zurückliegende Zeiträume erstreckt werden (BVerwG v. 21.10.1999 – 2 C 27/98 –).
Die Feststellungsentscheidung ist außerdem die verfahrensrechtliche Voraussetzung, um dem Anspruchsverlust durch Einbehaltung der Bezüge oder durch Rückforderung bereits ausbezahlter Bezüge Rechnung zu tragen (BVerwG, Urt. v. 21.10.1999 – 2 C 27/98 –).
Hinweis:
Die Feststellung des Dienstherrn ist nichts anderes als der obligatorische Vollzug eines Gesetzesbefehls.
Die Konsequenz daraus: Ein Ermessen des Dienstherrn besteht dabei nicht (BVerwG v. 1.7.1997 – 1 DB 8/97 –).
b) Inhalt des Bescheides
Weiterhin ist die Frage zu beantworten, welchen Inhalt der Feststellungsbescheid aufweisen muss.
Notwendiger Inhalt der Feststellungsentscheidung ist die Tatsache des Fernbleibens, die Zeitspanne des Fernbleibens sowie Pflichtwidrigkeit und Verschulden, nicht jedoch die Bezifferung der entfallenden Besoldung (vgl. HessVGH v. 9.2.1989 – 1654/84 –).
Die Berechnung der entfallenden Bezüge ist zur Geltendmachung einer Rückforderung nötig; wird sie nicht durch Leistungsklage geltend gemacht, muss die zuständige Behörde einen Rückforderungsbescheid erlassen (HessVGH v. 9.2.1989 a.a.O.).
c) Verfahren
Zuständig für die feststellende Entscheidung ist der Dienstvorgesetzte (Summer in: Schwegmann/Summer, BBesG, § 9 Rn. 15d).
Der Beamte ist vor Erlass der feststellenden Entscheidung nach § 28 Abs. 1 VwVfG anzuhören (vgl. Battis, BBG, § 96 Rn. 8). Sind Besoldungsleistungen erbracht, die auf der Basis der feststellenden Entscheidung zurückzufordern sind, ist außerdem ein Rückforderungsbescheid (siehe dazu: Leistungsbescheid) erforderlich.
Die Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge beseitigt bei bereits gezahlten Dienstbezügen nachträglich den rechtlichen Grund der Leistung mit der Folge, dass der Dienstherr einen Rückforderungsanspruch gegen den Beamten erwirbt. Der Anspruch auf Dienstbezüge steht damit unter dem gesetzlichen Vorbehalt des Verlustes nach Art. 9 Abs. 1 BayBesG mit der Konsequenz der verschärften Haftung des Empfängers nach § 820 Abs. 1 Satz 2, § 818 Abs. 4 BGB vgl. BVerwG, Urt. v. 21.10.1999 – 2 C 27/98 –.
Die feststellende Entscheidung ist förmlich zuzustellen.
Das Recht auf Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge kann auch verwirkt sein (BVerwG, Beschl. v. 1.7.1997 – 1 DB 8/97 –).
6. Der Beamte kann sich auch gegen einen feststellenden Bescheid mit Widerspruch und Anfechtungsklage zur Wehr setzen (siehe dazu § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Zur Frage der Auswirkungen einer späteren Disziplinargerichtsentscheidung mit abweichender Beurteilung des Pflichtenverstoßes auf eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über den Verlust der Dienstbezüge siehe BVerwG, Urt. v. 27.1.1994 – 2 C 12/92 – BVerwGE 95, 87/88 ff.
Hinweis:
Ein Disziplinarurteil wegen schuldhaften Fernbleibens vom Dienst entfaltet für das Verfahren der Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge nach der Rechtsprechung des BVerwG Bindungswirkung (BVerwG v. 22.9.2016 – 2 C 17.15 –).
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
Lesen Sie dazu auch die Beiträge mit dem Titel:
- Wann darf ein Beamter seinem Dienst fernbleiben?
- Der Verwaltungsakt im Beamtenrecht – Teil II: Regelung
- Vortäuschen einer Krankheit = Entfernung aus dem Dienst!
- Der Behördenstammtisch: Freitagsdemos von Schülern und Lehrern
- BVerfG: Streikverbot für Beamte verfassungsgemäß
Näheres siehe in der Literatur bei:
- Weiß/Niedermaier/Summer, Art. 95 BayBG, Rn. 1 ff.
- Schütz/Maiwald, § 62 LBG NRW, Rn. 1 ff.
- v. Roetteken/Rothländer, § 68 HBG, Rn. 1 ff.
- Schwegmann/Summer, § 9 BBesG, Rn. 1 ff.
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