Liebe Leserin, lieber Leser,
nach der ständigen BFH-Rechtsprechung fließt Arbeitslohn mit der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht zu, wobei Zuflusszeitpunkt der Tag der Erfüllung des Anspruchs des Arbeitnehmers ist. Dies ist der Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber sein Leistungsversprechen gegenüber dem Arbeitnehmer erfüllt. Geldbeträge fließen dem Arbeitnehmer also grundsätzlich dadurch zu, dass sie bar ausgezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden.
Beim Barlohn eines „normalen“ Arbeitnehmers stellt sich der Zuflusszeitpunkt also insoweit unkritisch dar, da er sich an der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht und den tatsächlichen Verhältnissen ausrichtet. Insofern kann das Zufließen von Einnahmen auch grundsätzlich nicht fingiert werden. Eine Ausnahme davon betrifft den Lohnzufluss bestimmter Gehaltsbestandteile bei beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern (bGGF). Bei diesen wird unterstellt, dass sie aufgrund ihres Status über eine von „ihrer“ Kapitalgesellschaft geschuldete Vergütung bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit verfügen können und ihnen damit entsprechende Einnahmen zugeflossen sind. Begründet wird dies damit, dass es der bGGF ja selbst in der Hand habe, die fälligen Beträge stehen oder sich auszahlen zu lassen.
Über einen solchen Fall hatte kürzlich das FG Baden-Württemberg (FG) zu entscheiden. Es ging um die Frage, ob dem bGGF – wie es das Finanzamt angenommen hat – vertraglich vereinbarte, jedoch nicht ausgezahlte Tantiemen als zugeflossen anzusehen sind, obwohl „seine“ Kapitalgesellschaft keine Passivierung der vertraglich vereinbarten Tantieme vorgenommen hat. Konkret stand damit die Frage im Raum, ob die Zuflussfiktion auch dann greift, wenn sich die fälligen, nicht ausgezahlten Tantiemen bei der Ermittlung des Einkommens der Kapitalgesellschaft durch die nicht vorgenommene Passivierung tatsächlich nicht steuermindernd ausgewirkt haben.
Aus der Sicht des klagenden bGGF führe eine Besteuerung der Tantieme, die in den Bilanzen/Jahresabschlüssen der Kapitalgesellschaft nicht passiviert wurden, zu einer Phantom-Lohnbesteuerung. Nach seinem Anstellungsvertrag entstehe sein Tantiemeanspruch vier Wochen nach Feststellung des Jahresabschlusses. Somit sei die Fälligkeit genau definiert. Da die in Rede stehende Tantieme – aus welchen Gründen auch immer – nicht als Rückstellung im Jahresabschluss passiviert worden sei, könne auch niemals eine Fälligkeit eintreten.
Das beklagte Finanzamt vertritt hingegen, unter Hinweis auf die Auslegung der hierzu bereits ergangenen BFH-Urteile durch die FinVerw4 die Auffassung, dass dem bGGF eine eindeutige und unbestrittene Forderung gegen „seine“ Kapitalgesellschaft bereits mit deren Fälligkeit zufließt. Ob sich der Vorgang in der Bilanz der Kapitalgesellschaft tatsächlich gewinnmindernd ausgewirkt hat, etwa durch die Bildung einer Verbindlichkeit, ist für die Anwendung dieser sog. Zuflussfiktion unerheblich, sofern eine solche Verbindlichkeit nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung hätte gebildet werden müssen. Es kann also aus Sicht der FinVerw für den Lohnzufluss beim bGGF keinen Unterschied machen, ob die Kapitalgesellschaft sich an die buchhalterischen Vorgaben hält oder nicht.
Tatsächlich verbindet der BFH die Zuflussfiktion einer Tantieme aber mit der Fälligkeit und der Gewinnauswirkung bei der Kapitalgesellschaft. Dem bGGF fließt aus Sicht des BFH eine eindeutige und unbestrittene Forderung gegen "seine" Kapitalgesellschaft bereits mit deren Fälligkeit zu. Fällig wird der Anspruch auf eine Tantieme erst mit Feststellung des Jahresabschlusses, sofern die Vertragsparteien nicht zivilrechtlich wirksam und fremdüblich eine andere Fälligkeit im Anstellungsvertrag vereinbart haben. Allerdings werden von der Zuflussfiktion nur Gehaltsbeträge und sonstige Vergütungen erfasst, die die Kapitalgesellschaft dem bGGF schuldet und die sich bei der Ermittlung des Einkommens der Kapitalgesellschaft (tatsächlich) ausgewirkt haben5.
Rein formal gesehen, lagen in dem verhandelten Fall die positiven Voraussetzungen für einen „Fälligkeitszufluss“ also nicht vor. Die Tantiemen wurden nicht ausbezahlt und auch nicht passiviert. Diese Tatsache genügte dem FG um den fiktiven Zufluss von Arbeitslohn auszuschließen. Dies zumal auch deshalb, weil durch die fehlende Passivierung bei der Kapitalgesellschaft insgesamt kein missbräuchlicher Steuervorteil entstanden sei6. Es liegt eben gerade kein Fall einer Kürzung des Gewinns der Kapitalgesellschaft ohne korrespondierende Versteuerung beim bGGF vor.
Die Entscheidung des FG steht damit zwar formal gesehen im Einklang mit der vorgenannten BFH-Rechtsprechung, jedoch im Widerspruch zu der Auffassung der FinVerw und der Aussage des FG Münster in seinem Urteil vom 04.09.20197. Beiden, also FinVerw und FG Münster, kommt es für die Beurteilung, ob ein Lohnzufluss fingiert werden kann, eben nicht auch auf die tatsächliche Handhabung im Jahresabschluss der Kapitalgesellschaft an, sofern bei steuerrechtlich korrektem Buchungsverhalten eine Passivierung hätte vorgenommen werden müssen. Das FG Münster führt dazu aus:“ Es erschließt sich nicht, warum eine unter Verstoß gegen den bilanzsteuerrechtlichen Vollständigkeitsgrundsatz nicht eingebuchte Verbindlichkeit – anders als bei steuerrechtlich korrektem Buchungsverhalten – nicht den Fälligkeitszufluss auslösen soll, wenn dieser seine Rechtfertigung in der hiermit in keinem Zusammenhang stehenden faktischen wie rechtlichen Zugriffsmöglichkeit (des bGGF) findet“.
Bei der Frage der Anwendung der Zuflussfiktion von nicht ausgezahlten und nicht passivierten Gehaltsbestandteilen eines bGGF stehen sich unterschiedliche Sichtweisen gegenüber. Gegen die Entscheidung des FG hat die FinVerw jedoch Revision eingelegt. Die gegenläufigen Standpunkte werden also hoffentlich bald ihre Entscheidung in dem anhängigen Verfahren finden8.
In dem Sinne, bleiben Sie selbst auch immer (ein bisschen) speziell und vor allem aber zuversichtlich.
Es grüßt Sie,
Ihr Matthias Janitzky
1 BMF-Schreiben vom 12.05.2014, BStBl. I S. 860
2 BFH-Urteil vom 03.02.2011, VI R 66/09, BStBl II 2014 S. 491
3 FG Baden-Württemberg vom 30.06.2022, 12 K 58/20 (Revision VI R 20/22)
4 BMF-Schreiben vom 12.05.2014 (a.a.O.)
5 BFH-Urteil vom 03.02.2011, VI R 66/09 (a.a.O.)
6 § 42 Abs. 2 Satz 1 AO
7 FG Münster vom 04.09.2019, 4 K 1538/16 E, G, EFG 2020, 82
8 VI R 20/22
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