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Professionelle Distanz

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Die Gleichstellungsbeauftragte ist eine Einzelkämpferin und daher nicht nur in ihren Entscheidungen, sondern auch organisatorisch allein. Das ist nicht immer einfach. Es liegt nahe und der Wunsch ist verständlich, dass sie sich fürs „Wir-Gefühl“ und als moralische Stärkung Allianzen sucht. Wenn sie die unter ihresgleichen findet, d.h. unter Gleichstellungsbeauftragten, kein Problem. Da sind die Interessenlagen gleich und z.B. ein „Du“ bietet sich an im gemeinsamen Kampf um die gleichen Ziele und das Erleben der gleichen Frustrationen. Aber Vorsicht, Vorsicht bei der Wahl anderer Bündnispartner/innen. Das kann schon mal auf falsche Freunde hinauslaufen.

Liebe Leserin, lieber Leser,

mir sind Gleichstellungsbeauftragte bekannt, die stolz darauf waren, dass sie mit „ihrem“ Staatssekretär abends essen waren. Oder die sich gebauchpinselt fühlten, wenn die Dienststelle sie im angeblichen Vertrauen auf die „gemeinsame Sache“ bat, unter ihren GB-Kolleginnen eine Abfrage zu machen, wie denn dies oder jenes in anderen Häusern geregelt werde. Bei einem Gespräch des Interministeriellen Arbeitskreises der Gleichstellungsbeauftragten der obersten Bundesbehörden (IMA) mit den Staatssekretär des Ressorts, in dem wir tagten, traute ich meinen Augen nicht, als er die von mir verfasste Tagesordnung mitbrachte, in der ich regelmäßig nicht nur die Beratungspunkte, sondern zur Vorbereitung der Diskussion auch aktuelle Sachstände und Problemdarstellungen, vorliegende Rückmeldungen und Beschlussvorschläge aufliste.

Das alles sind Beispiele dafür, dass Gleichstellungsbeauftragte gelegentlich nicht die nötige Distanz zu ihren internen Gesprächs- und Verhandlungspartner/inne/n wahren und damit ihre Rolle nicht klar haben. Die Fähigkeit zu professioneller Distanz ist aber nach meiner Auffassung eine der Kompetenzen, die eine Gleichstellungsbeauftragte haben muss neben z.B. Mut, Frustrationstoleranz und Zivilcourage u.v.a. (s. Blogbeiträge vom 14.2.2011, 12.12.2011 und 24.9.2012).

Auch mit dem Duzen ist es so eine Sache. Ich selbst habe da schon ungewollt heftig Lehrgeld gezahlt. Als vor Jahren eine Ministerin ins Haus kam, deren Partei auch ich angehöre, wurde ich vom Leiter der Dienststelle sofort und ganz selbstverständlich geduzt. Ob mir das gefiel, wurde ich nicht gefragt. Im Gegenteil schloss sich mein Hauptansprechpartner, der Leiter der Personalverwaltung, dieser Übung - wohl mehr oder weniger (gefühlt) gezwungen - an.

Einige Monate eierten wir herum und versuchten, in Mails und Gesprächen Formulierungen zu finden, die ohne eine direkte Ansprache auskamen. Sehr anstrengend, das kann ich Ihnen versichern.

Wie zwischen Verwaltung und Gleichstellungsbeauftragte üblich, kam es dann bald zu Meinungsverschiedenheiten in Sachthemen, die von beiden Seiten durchaus nachdrücklich geführt wurden. In diesem Zuge wurde mir dann plötzlich mitgeteilt: „Wenn wir uns solche Briefe schreiben, können wir uns nicht mehr duzen“.

Wie wahr, das hätte ich ihnen auch vorher sagen können. So war es peinlich für die eine, unangenehm für die andere Seite. Immerhin aber hatte mein Gegenüber die Courage, das Thema anzusprechen. Oft ist es so, dass beide Seiten das Duzen eigentlich lieber lassen würden, aber keine/r sich traut, es als erste/r zu thematisieren.

Fehlende professionelle Distanz, d.h. betont vertrauensvolle Zusammenarbeit kann natürlich auf Seiten der Gleichstellungsbeauftragten auch den Zweck verfolgen, Karriere machen zu wollen, erfolgreich nachgezeichnet, befördert, zum Aufstieg zugelassen zu werden etc. pp.

Alles schön und gut, die Gleichstellungsbeauftragte sollte in der Tat an beruflicher Entwicklung teilhaben können. Aber zu bedenken ist immer: Gefälligkeit schafft Abhängigkeit und die Unabhängigkeit der Gleichstellungsbeauftragten – innerlich und äußerlich – ist ein hohes Gut (s. Blog „Die Unabhängigkeit der Gleichstellungsbeauftragten“ vom 24.1.2011). Daher sollte eine Gleichstellungsbeauftragte immer genau überlegen, was sie tut und wie das ggf. nach außen wirkt.

Das letzte, was Gleichstellung in diesen Zeiten brauchen kann, ist Verrat an der Sache – sei es absichtlich oder auch nur aus Unüberlegtheit. Das schadet allen. Und: Gibt sie ihr Amt auf oder wird ggf. nicht wiedergewählt, sitzt sie ohnehin am kürzeren Hebel. Also Augen auf bei der Bündnis-Wahl!

Herzlich

Kristin Rose-Möhring

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