Ein ehemaliges Munitionsgelände, darauf gehaltenes Farmwild – und der Plan, das Fleisch in die Lebensmittelkette zu bringen. Die Behörden griffen ein, das OVG Bautzen1 bestätigte: Präventiver Gesundheitsschutz hat Vorrang. Der Fall zeigt, wie effektiv das Vorsorgeprinzip im EU‑Lebensmittelrecht angewandt werden kann und welche Reichweite präventive Eingriffsbefugnisse haben.
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I. Sachverhalt
Auf einem ehemaligen Munitionsgelände („MUNA“) wurde Farmwild gehalten. Bekannt war eine Belastung des Areals mit Rückständen aus Munition, chemischen Kampfstoffen, Pflanzenschutzmitteln, Ölen und Kraftstoffen.
Deshalb untersagte die Überwachungsbehörde
- ein Verbringen des Farmwilds
- und ein Inverkehrbringen des gewonnenen Fleisches.
Für diese Anordnungen wurde die sofortige Vollziehung verfügt, sodass einem Widerspruch keine aufschiebende Wirkung zukommt2.
Die Betreiberin wehrte sich mit einem Anfechtungswiderspruch3. Mit Bezug auf die behördlich angeordnete4 sofortige Vollziehung der Untersagung wurde zudem ein Antrag5 auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gestellt.
Das Verwaltungsgericht Leipzig hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs abgelehnt6. Zur sofortigen Vollziehung hat das VG festgestellt, dass diese neben der behördlichen Anordnung auch bereits kraft Gesetz7 gegeben ist.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des VG Leipzig hat das OVG Bautzen mit Beschluss vom 05.09.2025 zurückgewiesen.

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II. Kommentar/rechtliche Einordnung
Die Entscheidung des OVG Bautzen weist mehrere interessante Aspekte auf:
1. Gefahren- und Risikobewertung
Ermächtigungen: Die behördliche Untersagung basiert auf den Ermächtigungen zur Verhütung künftiger Verstöße sowie zum Schutz vor Gefahren für die Gesundheit nach Art. 138 Verordnung (EU) 2017/625 über amtliche Kontrollen (EU-KontrollV 2017) und § 39 Abs. 4 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB). Daraus resultiert die Frage, ob die Gefahren- und Risikobewertungen des Einzelfalls die Präventivmaßnahmen ausreichend tragen.
Verhütung künftiger Verstöße: Ein künftiger Verstoß im Sinne vorstehender Ermächtigungen ist nach dem OVG Bautzen8 gegeben, wenn aufgrund konkreter Tatsachen darauf geschlossen werden kann, dass ein solcher Verstoß zu erwarten ist.
Gefahr für die Gesundheit: Zur Feststellung einer Gefahr für die Gesundheit bedarf es nicht der Feststellung einer Gesundheitsschädlichkeit eines Erzeugnisses gemäß Art. 14 Abs. 2 a) BasisVO. Eine „Gefahr“ für die Gesundheit stellt gemäß Art. 3 Nr. 14 Lebensmittelbasisverordnung (EG) Nr. 178/2002 (BasisVO) jedes biologische, chemische oder physikalische Agens in einem Lebensmittel oder einen Zustand eines Lebensmittels dar, welches eine Gesundheitsbeeinträchtigung verursachen kann.
Das OVG bestätigt9: Das VG ist anhand der bekannten Befunde zu Recht von einer lebensmittelrechtlichen Gefahr beim vorgesehenen Verzehr des Fleisches ausgegangen. Ebenso war eine konkretere Risikobewertung aufgrund der damaligen Datenlage noch nicht möglich.
Inzwischen liegen auch Befunde über Proben von den Tieren auf dem MUNA-Gelände vor. Hierbei wurden jeweils Höchstmengenüberschreitungen von PFAS festgestellt, sowie deutliche Gehalte an Dioxinen/PCB. Dies belegt die inakzeptablen Risiken und kann von den von der Betreiberin vorgelegten Befunden nicht entkräftet werden. Ferner sei nicht klar, dass die Proben der Betreiberin von Tieren auf dem MUNA-Gelände stammen würden.
Zwischenergebnis – für die Praxis: Die Präventivmaßnahmen in Übereinstimmung mit dem im Lebensmittelrecht verankerten Vorsorgeprinzip10 sind zulässig. Eine Gefahr für die Gesundheit bedarf keines Nachweises einer Gesundheitsschädlichkeit.
2. Zunehmende Rechtssicherheit
Die Ermächtigung des Art. 54 der vormaligen Verordnung (EG) Nr. 882/2004 erfasste gemäß Wortlaut nur die Fälle von „festgestellten Verstößen“. Daraus resultierte die Frage, ob eine Rechtsauslegung über den Wortlaut hinaus zulässig oder ob eine ergänzende Heranziehung von nationalen Normen erforderlich ist.
Sowohl Wortlaut als auch Systematik der inzwischen geltenden Rechtslage erlaubt Präventivmaßnahmen. So decken Art. 137 und 138 der EU-KontrollV sowohl Verdachtsfälle als auch festgestellte Verstöße ab. Die Tatbestände des Ausschaltens oder Eindämmens von Risiken machen ebenso einen bereits präventiven Ansatz deutlich. Zudem wird eine Verhinderung erneuter Verstöße vorgegeben. Die nationale Bezugnahme auf das Unionsrecht in § 39 Abs. 4 LFGB stellt die präventiven Möglichkeiten ergänzend klar.
Zwischenergebnis - für die Praxis: Vorstehende novellierte Ermächtigungen und der Beschluss des OVG unterstreichen die zunehmende Rechtssicherheit.
3. Bezug zu anderen Rechtsbereichen/Tiergehege
Das OVG Bautzen stellt auch fest: Auf dem Areal wurde ein Tiergehege genehmigt. Die Schutzziele der damit verbundenen Tierschutz- und Tiergesundheitsregelungen sind jedoch andere und können jedenfalls die Lebensmittelsicherheitsmaßnahmen nicht infrage stellen.
III. Fazit/Praxisbedeutung
Der Sachverhalt tangiert die grundlegende Systematik des EU-Lebensmittelrechts mit der primären Verantwortung der Lebensmittelunternehmen11. Der Beschluss unterstreicht sowohl die Pflicht zur Gefahren- und Risikobewertung als auch die Ergreifung erforderlicher Maßnahmen zum Ausschalten oder Reduzieren von Risiken auf ein akzeptables Niveau12. Dabei sieht das Lebensmittelrecht grundsätzlich eine Kooperation von Unternehmen und Behörden zur Erreichung eines angemessen hohen Gesundheitsschutzniveaus vor13. Im vorliegenden Fall sind unterschiedliche Auffassungen gegeben und die Verwaltungsgerichtsbarkeit hat in den einstweiligen Rechtsschutzverfahren dem vorbeugenden Gesundheitsschutz Vorrang vor den Vermarkungsinteressen eingeräumt.
Diese Rechtsprechung stärkt den vorbeugenden Gesundheitsschutz und untermauert einen bedeutenden Grundsatz der Gefahrenabwehr. Danach sind bereits eingetretene Schäden nicht als Grundlage für präventive Maßnahmen erforderlich. Dies würde auch den Normschutzzielen zuwiderlaufen, wenn in der Konsequenz zunächst ein Schaden abgewartet werden müsste. Andererseits werden komplexe Gefahren- und Risikobewertungen absehbar weiterhin umstritten bleiben, weil sie oftmals Gegenstand der Gratwanderung zwischen unsicheren und sicheren Erzeugnissen bzw. akzeptablen Lebensalltagsrisiken sind14. Im Falle von etwaiger behördlicher Übersensibilität drohen wenig wirksame oder gar rechtswidrige Umsetzungen sogenannter Scheinsicherheiten, welche Vorbehalte gegenüber der Überwachung sowie den Skandaljournalismus bedienen können.
Für die Praxis unterstreichen die Erkenntnisse insbesondere Folgendes:
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objektive Erkenntnisse über Altlasten eines Grundstücks in Verbindung mit anzunehmenden Kontaminationen des Fleisches dort gehaltener Tiere können bereits eine inakzeptable Gefahr für die Verbraucher darstellen; die folgenden Befunde von PFAS, Dioxinen, Blei, PCB bzgl. Proben von den Tieren haben die Risiken unterstrichen.
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sowohl die Primärverantwortung der Lebensmittelunternehmen als auch die Überwachungsaufgabe der Behörden unterstreichen die Pflichten zur Aufklärung und zum Ergreifen angemessener Maßnahmen; grundsätzlich sieht das Lebensmittelrecht hierfür eine Kooperation von Unternehmen und Behörden vor.
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objektive Risikobewertungen sind essenziell für einen effektiven Verbraucherschutz und aber auch zur Vermeidung überzogener Maßnahmen bzw. sogenannter Scheinsicherheiten.
Der Fortgang der Angelegenheit in der Hauptsache verspricht weiterhin Spannung – wir halten Sie auf dem Laufenden!
Auch mit vorliegenden Newslettern wurden schon verschiedene Gefahren- und Risikobewertungen beleuchtet, z. B. hinsichtlich
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Sushi, Temperaturanforderungen für die Aufbewahrung von vorverpacktem Sushi
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Chargenvermutung bzgl. unsicherer Erzeugnisse OVG bestätigt Rückruf aufgrund unsicherer Charge
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Rückruf unsicherer Erzeugnisse Behördliches Mitverschulden am Schaden
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Untersagung bzgl. unsicherer Pilze Behördlichen Abgabeuntersagungen - Mängel bzgl. der Rückverfolgbarkeit
Stephan Ludwig
Landratsamt Göppingen, Abteilungsleiter Lebensmittelüberwachung
1 OVG Bautzen, Beschluss v. 05.09.2025 – 3 B 24/24
2 § 80 Abs. 1 VwGO
3 § 69 VwGO
4 § 80 Abs. 2 Nr. 4. VwGO
5 § 80 Abs. 5 VwGO
6 VG Leipzig, Beschluss v. 29.01.2024 – 3 L 710/23
7 § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO i. V. m. § 39 Abs. 7 Nr. 1 LFGB
8 Beschluss Rn. 25 bzgl. Fußnote 1
9 Beschluss Rn. 26 bzgl. Fußnote 1
10 Art. 7 BasisVO und LMuR, 2023, 435, Ludwig, Zur Verwendung des Vorsorgeprinzips beim Risikomanagement sowie Vorwort und Kap. 1.3 und 1.4 im Praxishandbuch Behebung und Verfolgung von Lebensmittelverstößen, Ludwig, 8. Auflage 2024
11 Roffael/Wallau in LMuR, 2025, Zuständigkeiten im europäischen Lebensmittelrecht – Ein funktionaler Doppelauftrag für Unternehmer und Mitgliedstaaten, bezugnehmend auf Kirchsteiger-Meier, Die Lebensmittelhygiene als primäre Verantwortung des Lebensmittelunternehmers in der EU, der Schweiz und den USA, 2018, sowie Ludwig, Behebung und Verfolgung von Lebensmittelverstößen, 8. Aufl. 2025, S. 87 ff.; sh. auch Sosnitza/Meisterernst/Ludwig EG-Lebensmittel-Basisverordnung Art. 50 Rn. 23: Zusammenwirken von Unternehmen und Überwachung bzgl. Lebensmittelsicherheit
12 Vgl. Systematik Art. 137 und 138 Verordnung (EU) 2017/625 sowie Art. 5 VO (EG) 852/2004
13 zum Grundsatz der Kooperation sh. Ludwig in LMuR, 2025, 216, bezugnehmend auf BGH, Urt. v. 19.12.2024 – III ZR 24/23, LMuR 2025, 104 mAnm Holle (= ZLR 2025, 257 mAnm Oelrichs); Sosnitza/Meisterernst/Ludwig EG-Lebensmittel-Basisverordnung Art. 50 Rn. 52-54
14 Vgl. Ludwig, LMuR, 2025, 216