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Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung

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Darlegungslast für die Kausalität der Schwerbehinderung für die Benachteiligung

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wie Sie es von mir gewohnt sind, berichte ich an dieser Stelle immer mal wieder von der Rechtsprechung des achten Senats des Bundesarbeitsgerichts zum Benachteiligungsrecht im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes bzw. zum Recht der schwerbehinderten Menschen in Auswahlverfahren. Wie die immer wiederkehrenden Entscheidungen des Gerichts zu dieser Thematik eindrucksvoll zeigen, handelt es sich hierbei tatsächlich um eine Problematik, die eine Vielzahl von Facetten aufweist. Dementsprechend werden wir uns hiermit in der Praxis auch weiterhin beschäftigen müssen, gerade im Hinblick auf die Vielzahl von Auswahlverfahren, die (noch) zu führen sind, um der knappen Personalsituation im öffentlichen Dienst gerecht zu werden.

Der Entscheidung lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Der spätere Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 14.8.2019 auf die von der Beklagten im Internet ausgeschriebene Stelle als „Scrum Master Energy (m/w/d)“. Im Bewerbungsschreiben wies er auf seine Schwerbehinderung ausdrücklich hin. Nachdem die Beklagte dem Kläger mit E-Mail vom 22.8.2019 eine Absage erteilt hatte, machte dieser mit Schreiben vom 19.10.2019 gegenüber der Beklagten einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG geltend. Die Beklagte wies anschließend daraufhin, ihn, den Kläger nicht berücksichtigt zu haben, weil er das Anforderungsprofil nicht erfülle. Mit Schreiben vom 27.11.2019 bat der Kläger die Beklagte darum, ihm nachzuweisen, dass sie im Hinblick auf ihre Auswahlkriterien sämtliche Bewerberinnen und Bewerber gleichbehandelt habe. Hierauf reagierte die Beklagte nicht.

Mit der am 10.1.2020 beim Arbeitsgericht Hamburg fristgerecht eingegangenen Klage machte der Kläger einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend. Insoweit hat der Kläger die Ansicht vertreten, die Beklagte habe  verschiedene Pflichten aus § 164 Abs. 1 SGB IX, u. a. ihre Pflicht aus § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX verletzt, den bei ihr eingerichteten Betriebsrat (Hinweis: im Anwendungsbereich der Personalvertretungsgesetze der Personalrat) über seine Bewerbung unmittelbar nach deren Eingang zu unterrichten. Diese Verstöße begründeten – jeder für sich – die Vermutung der Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung.

Nachdem sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht Hamburg das Klagebegehren zurückgewiesen haben, hat das Bundesarbeitsgericht dem Kläger im Revisionsverfahren abschließend doch noch teilweise Recht gegeben.

Das Bundesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

  1. § 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die Klägerin/der Kläger Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei (in der Regel die Arbeitgeberin/der Arbeitgeber) die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (BAG 2.6.2022 – 8 AZR 191/21, AP Nr. 1 zu § 168 SGB IX 2018).

  2. Ein erfolglose/r schwerbehinderte/r Bewerberin oder Bewerber genügt in einem Schadensersatz- bzw. Entschädigungsprozess nach § 15 Abs. 1 und/oder Abs. 2 AGG ihrer/seiner Darlegungslast für die Kausalität der Schwerbehinderung für die Benachteiligung regelmäßig dadurch, dass sie/er eine Verletzung des Arbeitgebers gegen Bestimmungen rügt, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten (so bereits die ständige Rechtsprechung s. hierzu BAG 19.1.2023 – 8 AZR 437/21, AP Nr. 34 zu § 15 AGG).

  3. Die Klägerin/der Kläger müsse für die von ihr/ihm nur vermutete Tatsache eines Verstoßes der Arbeitgeberin/des Arbeitgebers gegen die unter Ziffer 2. genannten Vorschriften, z. B. dass der Betriebsrat nicht den Vorgaben des § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX entsprechend unmittelbar über die Bewerbung unterrichtet wurde, vor dem Hintergrund, dass es sich um tatsächliche Verhältnisse in der Sphäre der Prozessgegnerin/des Prozessgegners handelt, in die eine Bewerberin oder ein Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis als Außenstehende/r regelmäßig keinen Einblick hat und sich auch zumutbar nicht verschaffen kann, regelmäßig keine konkreten Anhaltspunkte darlegen!!!!

  4. Da die Beklagte in dem zu entscheidenden Fall die Behauptung des Klägers nicht hinreichend bestritten, sondern ausdrücklich darauf hingewiesen hat, aus prinzipiellen Erwägungen von einer Erwiderung abzusehen, galt der Vortrag des Klägers, wonach die Beklagte den bei ihr eingerichteten Betriebsrat nicht den Vorgaben des § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX entsprechend unterrichtet hat, nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.

Fazit für Sie!

In einem Schadensersetz- oder Entschädigungsprozess sollten Sie das Vorbringen der Klägerin oder des Klägers genau studieren. Soweit sie/er sich auf eine Verletzung einer Verfahrensvorschrift beruft, die eine Förderpflicht zugunsten schwerbehinderter Menschen enthält, müssen Sie auf den diesen Vortrag zwingend substantiiert reagieren und antworten. Sie müssen also in concreto darlegen und nachweisen, wie Sie der entsprechenden Verpflichtung im Einzelfall nachgekommen sind.

Mit diesen Hinweisen verabschiede ich mich für heute aus dem herbstlichen aber sonnigen Glessen.

Herzliche Grüße

Ihr
Boris Hoffmann

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