Wann muss bei Verhinderung des Bewerbers ein Ersatztermin angeboten werden und kann aus der Verwendung des Gendersterns in einer Stellenausschreibung auf eine Benachteiligung zweigeschlechtlicher Menschen geschlossen werden?
Liebe Leserin, lieber Leser,
in meinem aktuellen Blog möchte ich mich wieder einmal den Rechten schwerbehinderter Bewerber in Auswahlverfahren widmen. Das Bundesarbeitsgericht hat sich in seiner Entscheidung vom 23.11.2023, Az. 8 AZR 164/221 im Wesentlichen mit folgenden zwei Fragen auseinandergesetzt:
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Beinhaltet die Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung schwerbehinderter Menschen zu einem Vorstellungsgespräch nach § 165 Satz 3 SGB IX auch das Erfordernis, bei Verhinderung des Bewerbers einen Ersatztermin anzubieten?
- Kann aus der Verwendung des Gendersterns in einer Stellenausschreibung geschlossen werden, dass nicht eingestellte zweigeschlechtliche Menschen im Auswahlverfahren wegen Ihres Geschlechts benachteiligt wurden?
TVöD/TV-L PRO
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Der Entscheidung lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Die schwerbehinderte klagende Partei wurde zweigeschlechtlich geboren und bezeichnet sich als Hermaphrodit. Mit einer E-Mail vom 16. September 2019 bewarb sie sich unter Angabe der Schwerbehinderung auf eine Stellenausschreibung der beklagten Stadt, mit der diese für ihre Ausländerbehörde „Fallmanager*innen im Aufenthaltsrecht“ suchte. Sie wies insoweit darauf hin, im Auswahlverfahren die Anrede „Sehr geehrte* Herm (Abkürzung für Hermaphrobit) F zu verwenden.
Daraufhin lud die Beklagte die klagende Partei mit E-Mail vom 4.11.2019 unter Verwendung der Anrede „Sehr geehrte* Frau/Herr F“ zu einem Vorstellungsgespräch am 18. November 2019 ein. Am 6. November 2019 teilte die klagende Partei per E-Mail mit, dass sie am Montag, den 18. November 2019, „schon einen anderen Termin in Brandenburg“ habe, weshalb sie um einen Ersatztermin bitte.
Dieser Bitte kam die Beklagte mit dem Hinweis nicht nach, dass das Stellenbesetzungsverfahren nicht weiter verzögert werden solle. Denn die Auswahlkommission könne aufgrund einer Vielzahl anderer Termine zeitnah nicht nochmals zusammenkommen.
Daraufhin erhob die klagende Partei fristgerecht Klage beim Arbeitsgericht Gießen Hiermit forderte Sie unter Bezugnahme auf ihre Nichteinladung eine Entschädigung in einer Höhe von 5.000 Euro.
Im Ergebnis wurde die Klage in allen drei Instanzen zurückgewiesen.

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Das Bundesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Zu Frage 1:
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Nach § 165 Satz 3 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die sich auf einen Arbeitsplatz beworben haben, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Nach § 165 Satz 4 SGB IX ist eine Einladung nur entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt.
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Der Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen die in § 165 Satz 3 SGB IX geregelte Pflicht zur Einladung begründe regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung.
- Aus der Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung eines Vorstellungsgespräches folge auch die Pflicht, einen Ersatztermin anzubieten. Dies setze allerdings voraus, dass
a) der schwerbehinderte Mensch seine Verhinderung vor der Durchführung des Termins unter Angabe eines hinreichend gewichtigen Grundes mitteilt und
b) dem Arbeitgeber bei Vornahme einer Gesamtschau das Anbieten eines Ersatztermins in zeitlicher und organisatorischer Hinsicht zumutbar ist.
Zu Frage 2:
Zwar werden intersexuelle, zweigeschlechtliche bzw. intergeschlechtliche Menschen durch das AGG vor geschlechtsbezogenen Benachteiligungen geschützt. Allerdings könne aus der Verwendung des Gendersterns bei der Stellenausschreibung nicht geschlossen werden, dass nicht eingestellte zweigeschlechtliche Menschen im Auswahlverfahren wegen ihres Geschlechts benachteiligt wurden.

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Fazit für Sie!
Ob Sie einen Ersatztermin anbieten müssen, hängt vom Gewicht des Verhinderungsgrundes und der Organisation des Auswahlverfahrens ab. Sie müssen daher im Rahmen einer Interessenabwägung eine Einzelfallentscheidung treffen.
Hinweis! Insbesondere bei einer kurzfristigen Erkrankung wird eine Verschiebung der Vorstellung bei organisatorischer Machbarkeit regelmäßig zumutbar sein. Gleiches gilt, falls die Bewerberin oder der Bewerber ihre/seine Verhinderung mit Ortsabwesenheit oder einer zeitlichen Kollision mit einem anderen Termin begründet und belegt (z. B. gebuchte Urlaubsreise, Arztbesuch).
Eine Stellenausschreibung enthält keine Benachteiligung wegen des Geschlechts, wenn Sie den Genderstern verwenden.
Mit diesen Hinweisen verabschiede ich mich für heute von Ihnen.
Herzliche Grüße
Ihr
Boris Hoffmann
1 BAG 23.11.2023 – 8 AZR 164/22, juris.
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