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Energiewende und Enteignung: Zwei aktuell verbundene Themen

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Die von der Bundesregierung proklamierte Energiewende stellt auch in enteignungsrechtlicher Hinsicht eine Herausforderung dar. Die Gesamtlänge der neu benötigten Leitungen, die sich aus dem Bundesbedarfsplangesetz ergeben, liegt aktuell (Stand 2017) bei etwa 5.900 km. Die Gesamtlänge der Leitungen in Deutschland wird stark vom Verlauf der Nord-Süd-Korridore abhängen und sich im weiteren Verfahrensverlauf konkretisieren. Insgesamt sind nur rund 450 km genehmigt und rund 150 km realisiert.

Kenner der Materie wissen, dass der Widerstand gegen neue Hochspannungstrassen hoch ist. Umgekehrt ist die Bereitschaft, freiwillig die erforderlichen Trassengrundstücke oder Leitungsrechte zur Verfügung zu stellen, gering.

Entsprechend groß sind der politische Druck und die gesetzgeberischen Aktivitäten.

Die vordringlichen Trassen sind zwar bereits durch das sog. Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) gesetzlich verbindlich festgestellt. Auch deren energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf sind kraft Gesetz festgeschrieben. Nachdem aber das zunächst im Jahr 2006 erlassene Infrastrukturbeschleunigungsgesetz nicht die beabsichtigte Beschleunigungswirkung bei den Verfahren gezeigt hat, hat der Bund das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) umfassend reformiert und das Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) neu erlassen. Sowohl das EnWG als auch das NABEG enthalten neue Regelungen zur Enteignung und vorzeitigen Besitzeinweisung. Beide Institute knüpfen an die Planfeststellung bzw. Plangenehmigung der Hochspannungsleitungen an. Hierzu sieht § 43 EnWG die energiewirtschaftliche Planfeststellung und Plangenehmigung mit erheblichen verfahrensrechtlichen Erleichterungen für den Leitungsbau vor. 

Die Enteignungsbehörde hat dem folgend nach den Vorgaben des sofort vollziehbaren Planfeststellungsbeschlusses bzw. der Plangenehmigung auf Antrag die vorzeitige Besitzeinweisung bzw. das Enteignungsverfahren einzuleiten. Nach § 45 b EnWG kann das Planfeststellungs- und das Enteignungsverfahren nach Abschluss der Anhörung im Planfeststellungsverfahren parallel geführt werden. Der Enteignungsbeschluss ist dann mit der aufschiebenden Bedingung zu erlassen, dass sein Ergebnis durch den Planfeststellungsbeschluss auch bestätigt wird. Andernfalls ist das Enteignungsverfahren auf der Grundlage des ergangenen Planfeststellungsbeschlusses zu ergänzen. § 45 EnWG verweist für das Enteignungsverfahren und seine Durchführung auf das Landesrecht und damit auf das Bayerische Enteignungsgesetz (BayEG). Eine solche Verweisung ins Landesrecht enthält auch § 45 a EnWG für das sog. Entschädigungsverfahren, wenn zwischen den Beteiligten keine Einigung über die Höhe der Enteignungsentschädigung erzielt wird. Mit diesen Verweisungen transportiert der Gesetzgeber zahlreiche enteignungsrechtliche Fragestellungen sowie das Verfahren wieder in das Landesrecht.

Ähnlich verhält sich auch das neue Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG). Das NABEG hat die länder- und grenzüberschreitenden Hochspannungsleitungen im Blick. Diese werden im Bundesbedarfsplan als solche gekennzeichnet. Ferner gilt es für 110 kV Hochspannungsleitungen und für Bahnstromfernleitungen, die zusammen auf einem Mehrfachgestänge geführt werden. Ziel ist eine nationale Bundesbedarfsplanung mit einer Bindungswirkung für die nachfolgende Planfeststellung der Trassen. Die eigentliche Zulassung von Errichtung, Betrieb und Änderung konkreter Höchstspannungsleitungen erfolgt durch die Planfeststellung nach dem NABEG.

Die Planrechtfertigung steht dabei bereits mit der Bedarfsfeststellung verbindlich fest.

Auf die zahlreichen Einzelheiten des gesamten Zulassungsverfahrens kann hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden.

Nach § 27 Abs. 1 NABEG kann die vorzeitige Besitzeinweisung dabei auch ohne vollziehbaren Planfeststellungsbeschluss gefordert werden. Ausreichend ist der nach Abschluss des Anhörungsverfahrens zu erwartende Planfeststellungsbeschluss. Gleichzeitig wird dem Vorhabenträger das Wahlrecht eingeräumt, ob er stattdessen ein vorzeitiges Enteignungsverfahren einleiten möchte. Der Enteignungsbeschluss ist dann mit der aufschiebenden Bedingung zu erlassen, dass sein Ergebnis durch den Planfeststellungsbeschluss bestätigt wird. Andernfalls ist das Enteignungsverfahren auf der Grundlage des ergangenen Planfeststellungsbeschlusses zu ergänzen. Der aufschiebend bedingte Enteignungsbeschluss führt noch zu keinem Entschädigungsanspruch. Auch hier wird wieder auf das Bayer. Enteignungsgesetz verwiesen.

Für die Frage der Abwicklung der vorzeitigen Besitzeinweisungs- als auch der Enteignungsverfahren ist das Bayerische Enteignungsgesetz maßgeblich. Die Verfahren müssen unter dessen Rechtsregime geführt, beurteilt und entschieden werden. Dies gilt auch für die Entschädigungs- und Rechtswegfragen. Für die Abwicklung dieser Verfahren ist die Kenntnis der enteignungsrechtlichen Spezialmaterie und der gängigen Kommentierungen unumgänglich. Sie hat mit der Energiewende noch an Bedeutung und Aktualität gewonnen.

Dr. Pfauser


1 Energiewirtschaftliche Planung für die Netzintegration von Wind- und erneuerbarer Energie
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