Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Beamte und Beamtinnen können nach den Vorschriften des Bundes- und des Landesbeamtenrechts in ein anderes Amt einer Fachlaufbahn – für die sie die Qualifikation besitzen – versetzt werden, wenn sie es entweder beantragen oder ein dienstliches Bedürfnis bzw. ein dienstlicher Grund1 besteht. Im Rückschluss bedeutet dies: Ein dienstliches Bedürfnis ist bei einem Antrag des Beamten auf Versetzung nach den gesetzlichen Voraussetzungen nicht erforderlich. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der bundes- und landesrechtlichen Bestimmungen zur Versetzung. Danach können Beamtinnen und Beamte entweder auf Antrag oder aus dienstlichen Gründen versetzt werden.
Sowohl nach dem Bundes- als auch nach dem jeweiligen Landesrecht besteht kein Rechtsanspruch auf Versetzung, sondern nur ein Anspruch auf Ausübung eines pflichtgemäßen Ermessens (Beamte „können“ versetzt werden).2 Dabei kommt eine Ermessensentscheidung erst dann in Betracht, wenn die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt sind. Eine Ermessensreduzierung auf null wird allenfalls in seltenen Ausnahmefällen – wie etwa bei schwerbehinderten Beamten und Beamtinnen gegeben sein. Das Ermessen des Dienstherrn ist nur in einem eng begrenzten Rahmen einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich.3 Bei der Entscheidung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Antrag auf Versetzung aus sozialen Gründen erfolgreich sein kann, kommt der richtigen Ermessensentscheidung des Dienstherrn die maßgebliche Bedeutung zu.
1. Auswahlermessen und Entschließungsermessen
Bei Fragen der Versetzung geht es in erster Linie um das Ermessen des Dienstherrn bei der Auswahl unter mehreren Bewerbern (sogenanntes: Auswahlermessen). Als "Entschließungsermessen" wird dagegen das Recht einer Behörde bezeichnet, bei Vorliegen eines Tatbestands (= Versetzungsantrag) diesem Antrag zu entsprechen oder ihn abzulehnen. Dabei darf nicht außer Acht bleiben, dass es dabei zunächst nur um die Ermessensentscheidung derjenigen (abgebenden) Behörde geht, welche für die Versetzung des Beamten/der Beamtin zuständig ist und nicht um das nach den jeweiligen Rechtsvorschriften des Bundes oder eines Landes für eine Versetzung in den Bereich einer anderen obersten Dienstbehörde oder eines anderen Dienstherrn ebenfalls erforderliche Einverständnis der aufnehmenden Behörde.
Auswahlermessen liegt vor, wenn sich mehrere Bewerber im Zuständigkeitsbereich der für die Versetzung zuständigen Behörde um eine freie Stelle bemühen. Ein Entschließungsermessen kommt dagegen dann in Betracht, wenn ein Dienstposten bei einer anderen Dienststelle zu besetzen ist, sich aber nur der Antragsteller/die Antragstellerin um diesen Dienstposten bemüht.
2. Soziale Gesichtspunkte und dienstliche Gründe bei der Ermessensentscheidung
Soziale Erwägungen sind dabei im Rahmen beider Ermessensalternativen (Auswahl und Entschließung) zu berücksichtigen. Für die personalverwaltenden Stellen gilt es zu beachten, dass der Dienstherr seine Pflicht zur Fürsorge für das Wohl des Beamten/der Beamtin und seiner/ihrer Familie (Art. 6 GG) auch bei der Ermessensausübung im Rahmen eines Arbeitsplatzwechsels einzubeziehen hat.4 Die Fürsorgepflicht (§ 45 BeamtStG/§ 78 BBG) gebietet dem Dienstherrn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, bei seinen Auswahlentscheidungen die „wohlverstandenen Interessen seiner Beschäftigten“ in gebührender Weise zu beachten.5
Dabei gilt jedoch auch bei Versetzungsanträgen der Grundsatz:
Die dienstlichen Interessen haben bei Ermessensentscheidungen grundsätzlich Vorrang vor den persönlichen Belangen der Beamtin/des Beamten. Bei dem Begriff „dienstliche Gründe“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, welcher der vollen Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte unterliegt. Allerdings liegen dem Begriff personalpolitische und organisatorische Entscheidungen des Dienstherrn zugrunde, welche zwar nur einer eingeschränkten Überprüfung zugänglich sind, die aber zumindest für das kontrollierende Gericht nachvollziehbar sein müssen.6 Der wichtigste Fall des unbedingten Vorrangs dienstlicher Belange ist die Gefahr einer nicht ordnungsgemäßen Erfüllung der der Behörde übertragenen Aufgaben. In erster Linie ist die Verwaltung gehalten, durch entsprechende personelle und organisatorische Maßnahmen dafür zu sorgen, dass auch bei einer positiven Entscheidung über den Versetzungsantrag ihre Funktionsfähigkeit aufrechterhalten bleibt. Eine Gefahr kann einmal darin begründet sein, dass für die entfallende Arbeitsleistung kein gleichwertiger Ersatz möglich ist und die Tätigkeit des Beamten /der Beamtin für die Erfüllung der Aufgabenstellung der Dienststelle unverzichtbar ist. Wenn die Funktionsfähigkeit bei einer positiven Entscheidung über den Versetzungsantrag nicht gewährleistet ist, muss dieser Antrag abgelehnt werden.
Der Grundsatz des Vorrangs dienstlicher Gründe muss allerdings relativiert werden, weil die vom Grundgesetz geforderte Abwägung zwischen den Belangen des Beamten einerseits und den dienstlichen Bedürfnissen andererseits auch bei der Ablehnung oder Genehmigung von Versetzungsanträgen nicht unterbleiben darf. Deshalb ist es trotz des Vorrangs dienstlicher Belange geboten, bei der Ermessensausübung Fürsorgegesichtspunkte und insbesondere soziale Aspekte nicht vollständig auszublenden, sondern vielmehr in die Entscheidung mit einzustellen.7
Versetzungen sind sowohl zu einer anderen Behörde desselben Dienstherrn, als auch in den Bereich eines anderen Dienstherrn möglich. Die Grenzen des Ermessens bei der Personalauswahl ergeben sich nach der Rechtsprechung aus den „besonders gelagerten Verhältnissen des Einzelfalls“ und damit aus tatsächlich vorliegenden sozialen und damit sachlichen Gründen.8
Solche besonders gelagerten Verhältnisse sind vom Dienstherrn etwa in folgenden Fällen zu berücksichtigen:
a) Gefährdung der Gesundheit des Beschäftigten9
Hierbei ist allerdings zu bemerken, dass eine Versetzung sehr wohl dann abgelehnt werden kann, wenn die Gefährdung der Gesundheit am vorhandenen Arbeitsplatz auch durch eine Umsetzung innerhalb der Behörde abgewendet werden kann. Dies gilt insbesondere in den Fällen des „Mobbing“10, wobei sowohl eine Umsetzung des betroffenen Beamten, als auch des oder der „Störer“ infrage kommt. Weiterhin begründet § 84 Abs. 2 SGB IX eine Initiativpflicht des Arbeitgebers / Dienstherrn zur Hilfestellung bei krankheitsbedingten betrieblichen Komplikationen.11 Eine Versetzung kommt damit erst in Frage, wenn die Mittel des betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht erfolgversprechend sind.12 Schon aus dem Gesetzestext ergibt sich, dass den Personalvertretungen im Rahmen dieses Verfahrens eine wichtige Funktion zukommt, die es im Interesse des betroffenen Beschäftigten, aber auch im Interesse der Funktionsfähigkeit der einzelnen Verwaltungen zu bewältigen gilt.
Hierbei bestehen für einige Laufbahnen wie Polizeivollzug, Strafvollzug oder Feuerwehr weitere Besonderheiten. Die Regelungen zur Polizeidienstunfähigkeit geben etwa einem Beamten mit nur eingeschränkter Polizeidienstfähigkeit eine Rechtsposition, die darauf hinausläuft, ihn zunächst innerhalb des Polizeibereichs auf einem Dienstposten weiterzuverwenden, auf dem die volle Polizeidienstfähigkeit nicht erforderlich ist. Dies ist auch bei entsprechenden Versetzungsanträgen zu berücksichtigen, denn der Dienstherr hat für einen Polizeivollzugsbeamten mit nur eingeschränkter Polizeidienstfähigkeit vorab nach einer anderen Verwendung innerhalb der Polizeiverwaltung zu suchen. Diese gesetzliche Vorgabe beinhaltet nach dem argumentum a maiore ad minus auch die Entscheidung über Versetzungsanträge von Polizeivollzugsbeamten.
b) Betreuung und Erziehung von Kindern13
Ausgangspunkt ist hier der Gedanke, dass ein Antrag auf Versetzung aus sozialen Gründen nicht nur eine Abwägung der im öffentlichen Interesse liegenden Grundsätze des Berufsbeamtentums einerseits und der privaten Interessen des Beamten/der Beamtin andererseits berührt, sondern auch die Wertentscheidung des Grundgesetzes zugunsten von Ehe, Familie und Kindererziehung realisieren will. Dieser verfassungspolitische Ausgangspunkt ist bei der Bewertung entgegenstehender dienstlicher Belange von entscheidender Bedeutung.14 Hierzu hat etwa das VG Gelsenkirchen entschieden, dass einem Versetzungsantrag einer Beamtin entsprochen werden musste, weil diese – im Gegensatz zu ihren Mitbewerberinnen – Kinderbetreuungspflichten zu erfüllen hatte.
Der Begriff des Kindes ist zunächst familienrechtlich zu bestimmen. Danach setzt das Kindschaftsverhältnis die geradlinige Verwandtschaft ersten Grades zu der Person voraus, zu der das Kindschaftsverhältnis bestehen soll (vgl. § 1589 BGB). Dieses Verhältnis besteht nach dem geltenden Recht unabhängig davon, ob eheliche Abstammung (§§ 1591 ff. BGB) oder nichteheliche Abstammung (§ 1600a ff. BGB) vorliegt. Im Hinblick auf die Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen bei der Annahme an Kindes statt (§§ 1741 ff. BGB) sind auch Adoptivkinder zu den Kindern zu rechnen. Zu berücksichtigende Kinder sind damit also eigene (= leibliche), für ehelich erklärte, an Kindes statt angenommene nichteheliche Kinder, sowie Stief- und Pflegekinder. Der Beamte/die Beamtin muss das Kind aber künftig tatsächlich betreuen. Eine alleinige Betreuung wird dagegen nicht verlangt.
c) Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger15
Nachteile für pflegebedürftige Angehörige, die der Beamte selbst betreut oder deren Betreuung er übernehmen will, müssen im Rahmen des Auswahlermessens Berücksichtigung finden, denn bei der Entscheidung über die beantragte Versetzung ist auch das Vorliegen sozialer Gründe zu prüfen und es ist nach Möglichkeit eine Dienststelle zu finden, die eine solche Betreuung erlaubt.16 Die Pflegebedürftigkeit kann dabei sowohl in physischen wie in psychischen Mängeln begründet sein. Dabei empfiehlt sich eine Anknüpfung an die Definition der Pflegebedürftigkeit im Bereich der Pflegeversicherung nach § 14 SGB XI: Pflegebedürftig sind danach Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen.17
Die Pflegebedürftigkeit setzt aber nicht voraus, dass eine Betreuung in die Zeiträume eines Arbeitstages hinein notwendig ist, die Anwesenheit vor Beginn des Dienstes und nach Ende des Dienstes zur notwendigen Versorgung muss genügen. Die Pflegebedürftigkeit kann nur durch ein einfaches ärztliches Gutachten festgestellt werden (zum Antrag siehe unten 5.). Dies schließt jedoch nicht aus, dass in einem Fall eines offensichtlich missbräuchlichen Gutachtens ein amtsärztliches Gutachten eingeholt wird. Dabei besteht eine Ermessenseinschränkung nicht bereits bei der notwendigen Pflege jedes beliebigen Angehörigen im Sinne des § 20 VwVfG gegeben sein. Schon wegen der Organisationshoheit des Dienstherrn wird man einen solchen Rechtsanspruch auf Verwandte des ersten oder zweiten Grades begrenzen müssen. Besondere Umstände des Einzelfalles können allerdings auch dazu führen, den Kreis der pflegebedürftigen Verwandten zu erweitern. Dabei könnte folgender Maßstab in die Ermessensentscheidung einfließen:
Je näher das Verwandtschaftsverhältnis, desto eher müssen dienstliche Gründe bei der Entscheidung über eine Versetzung zurücktreten. Der Beamte/die Beamtin muss dabei die erforderliche Pflege künftig selbst wahrnehmen.
Neben diesen genannten Fällen kommen auch andere persönliche Gründe für einen Versetzungsantrag in Betracht.
Beispiele:
Verkürzung der täglich anfallenden Wegezeiten (Heimatnähe); notwendige Betreuung entfernter Verwandter; Begründung eines gemeinsamen Wohnsitzes von Ehepartnern (ohne Kinderbetreuung); Wahrnehmung kommunalpolitischer Tätigkeiten.
Die letztgenannten sozialen Gründe begründen zwar keinen Rechtsanspruch auf einen Arbeitsplatzwechsel. Dies muss den Dienstherrn aber nicht daran hindern, dem Versetzungswunsche des Beamten / der Beamtin gleichwohl zu entsprechen. Anders ausgedrückt: Der Dienstherr kann, muss aber einerseits im Rahmen seines Entschließungsermessens keine Versetzung verfügen. Bei Auswahlentscheidungen können und dürfen andererseits die letztgenannten sozialen Gründe nicht zum Nachteil weiterer Bewerber berücksichtigt werden.
Eine Ermessenseinschränkung kann sich hinsichtlich des Auswahlermessens allenfalls dann ergeben, wenn der Dienstherr „Versetzungsrichtlinien“ erlassen und sich dadurch eine Selbstbindung auferlegt hat. Von dieser Möglichkeit wird häufig in sogenannten Ballungsräumen bei Behörden mit einem großen Personalkörper Gebrauch gemacht. Versetzungsrichtlinien sind verwaltungsinterne Bestimmungen über die personelle Auswahl und unterliegen nach § 76 Abs. 2 Nr. 8 BPersVG und dem entsprechenden Landespersonalvertretungsrecht der Mitbestimmung des Personalrats. Sie können zum Beispiel auf den Familienstand18 des Beamten/der Beamtin abstellen und vorgeben, dass verheiratete Beamte bei Versetzungsanträgen vorzuziehen sind. Denkbar wäre etwa gerade in Ballungsräumen auch ein Abstellen auf Wartezeiten bei sogenannten Pendlern mit der Folge, dass solche Beamte bei einer Versetzung bevorzugt werden, die am längsten auf eine Versetzung aus sozialen Gründen gewartet haben. Unabhängig davon, ob eine solche Regelung besteht, empfiehlt es sich, einen entsprechenden Antrag möglichst frühzeitig zu stellen.
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
1 Zur Deckungsgleichheit der Begriffe „dienstlicher Grund“ und „dienstliches Bedürfnis“ siehe Baßlsperger, PersV 2015, 289ff.
2 BVerwGE 75, 133 = ZBR 1987, 212.
3 Battis, § 28 BBG, Rn. 13
4 Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, Rn. 359, m.w.N.
5 BVerfG, Kammerbeschluss vom 23.5.2005, NVwZ 2005, 926.
6 Plog/Wiedow, § 15 BeamtStG, Rn. 4.
7 BayVGH v. 3.6.2008, Az.: 3 B 06.2325,ZBR 2009, 310.
8 Baßlsperger in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Art. 47 BayBG, Rn. 35.
9 BVerwG, ZBR 1969, 47
10 Dazu Wittinger/Herrmann, ZBR 20012, 337/340f.
11 Baßlsperger, DVfR Forum B - 7/2012.
12 Man wird in diesen Fällen zur Durchführung des Verfahrens nicht verlangen dürfen, dass der Beamte/die Beamtin zunächst während eines Jahres mehr als sechs Wochen krankheitsbedingt abwesend war.
13 VG Gelsenkirchen v. 29.06.2009; Az.: 1 L 281/09.
14 Grundsätzlich: BayVerfGH vom 13.5.1986, VerfGH 39, 56/61 f. = ZBR 1986, 332.
15 OVG Koblenz, ZBR 1995, 77.
16 Siehe dazu auch Kathke in Schütz/Maiwald, § 25 LBG NRW, Rn. 158.
17 Die Pflegebedürftigkeit wird in § 14 Abs. 2 bis 4 SGB XI noch näher bestimmt.
18 Baden in Altvater/Baden/Berg/Kröll u.a., § 76 BPersVG, Rn. 129.
Lesen Sie dazu die weiteren Beiträge:
Zur Versetzung wird empfohlen:
Baßlsperger in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, § 15 BeamtStG, Rn. 1 ff.
Hoffmann, in v. Roetteken/Rothländer, HBR, § 15 BeamtStG Rn. 1 ff. und
Kathke, in Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, § 15 BeamtStG, Rn. 1 ff.
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