Liebe Leserin, lieber Leser,
das Gnadenrecht der obersten Staatsorgane (Bundes- und Ministerpräsident eines Bundeslandes) findet seine verfassungsrechtliche Grundlage zum einen in Art. 60 Abs. 2 GG und zum anderen in den Landesverfassungen (z.B. Art. 47 BV; siehe Teil I). Im Folgenden soll den Fragen nachgegangen werden, ob es sich bei der Gnadenentscheidung um einen Verwaltungsakt handelt und ob der Betroffene bei einer Anlehnung seines Antrags Rechtsschutz erlangen kann.
Der Gnadenerweis wird von einem großen Teil der Literatur als Verwaltungsakt eingestuft. Richtig ist: Hinsichtlich seiner Rechtsfolgen ist der Gnadenakt immer rechtgestaltend (Summer, ZBR 1965, 106/108). Nach § 35 VwVfG bedarf es allerdings zum Vorliegen eines Verwaltungsakts weiterer Kriterien.
Nach anderer – und wohl zutreffender – Ansicht kann ein Verwaltungsakt schon deshalb nicht vorliegen, weil das Staatsoberhaupt schon nicht als „Behörde“ im Sinne des § 35 VwVfG tätig wird, es handelt bei seiner Entscheidung eben nicht als Verwaltung, sondern als Staatsorgan. Die Regelungen des VwVfG kommen danach allenfalls entsprechend zur Anwendung.
Die gegenteilige Meinung, die vom Vorliegen eines Verwaltungsakts und ggf. dessen Ablehnung ausgeht, unterstellt, dass der Bundes- bzw. Ministerpräsident bei seiner Entscheidung die Tätigkeit der Verwaltung de facto „an sich zieht“.
Man wird aber aus guten Gründen den Gnadenerweis des Staatsoberhaupts als einen „Hoheitsakt sui generis“ oder als „Gestaltungmacht besonderer Art“ ansehen müssen. So auch das BVerfG in seiner im Folgenden angeführten Grundlagenentscheidung vom 23.4.1969.
Es besteht eine jahrzehntelange – mittlerweile fast schon ermüdende – Kontroverse zu der Frage, ob gegen die Ablehnung eines Gnadengesuchs der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben sein kann. Entscheidend für die Beantwortung dieser Frage ist die Position des Gnadenrechts als Verfassungsrecht (Art. 60 Abs. 2 GG) einerseits und der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG andererseits.
Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 23.4.1969 (– BvR 552/63 –) die Zulässigkeit des Rechtswegs ausgeschlossen und später (Beschluss v. 3.7.2001 – BvR 1039/01) seine dort geäußerte Rechtsauffassung aus dem Jahr 1969 mit folgender Begründung bestätigt:
„Ein Recht auf einen Gnadenerweis besteht nicht. Ein solches Recht kann daher auch nicht verletzt werden. Folgerichtig gilt die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG für Gnadenentscheidungen nicht; vielmehr schließt Art. 60 Abs. 2 GG eine gerichtliche Nachprüfbarkeit ablehnender Gnadenakte aus.“
Daraus kann man schließen:
Die Ablehnung der Begnadigung ist im Grunde nichts anderes als die Bestätigung der strafgerichtlichen Entscheidung. Über die Rechtmäßigkeit der Beeinträchtigung von Grundrechten ist bereits im vorausgegangenen abgeschlossenen Gerichtsverfahren (durch die Verurteilung) entschieden worden. Bei dieser Betrachtung kann sich also aus der Ablehnung einer Begnadigung auch keine Grundrechtsverletzung ergeben, über welche ein das Gnadenorgan oder ein (weiteres) Gericht zu befinden hätte.
Nach der Rechtsprechung des Bayer. Verfassungsgerichtshofs ist gegen die Ablehnung einer beantragten Gnadenentscheidung allerdings die landesrechtliche Verfassungsbeschwerde statthaft, wenn von dem Betroffenen die Verletzung eines verfassungsmäßigen Rechts – insbesondere ein Verstoß gegen das aus Art. 118 BV abzuleitende Willkürverbot – geltend gemacht wird (BayVerfGH vom 14.12.1978 – Vf. 8-VI-78 –).
Es bestehen allerdings große Bedenken gegen diese bayerische Rechtsprechung, nicht zuletzt deswegen, weil sie den o.g. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entgegensteht und de facto die Justitiabilität der Ablehnung von Gnadenentscheidungen anerkennt.
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
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Literaturhinweise:
Der nächste Beitrag in dieser Reihe erscheint nach Pfingsten am 20.6.2022
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