Mehrarbeit und Freizeitausgleich bei der Polizei
Liebe Leserin, lieber Leser,
Beamte sind nach § 88 Satz 1 BBG, ohne Vergütung über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus, zur Dienstleistung verpflichtet, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse dies erfordern und sich die Mehrarbeit auf Ausnahmefälle beschränkt. Werden sie durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit aber mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, ist ihnen innerhalb eines Jahres für die Mehrarbeit, die sie über ihre regelmäßige Dienstzeit hinaus leisten, entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren. Der im Gesetz als Dienstbefreiung bezeichnete Rechtsanspruch wird allgemein auch als „Freizeitausgleich“ bezeichnet.
Auch vom Dienstherrn als „Ruhezeiten“ eingestufte Zeiträume können dabei unter bestimmten Voraussetzungen auszugleichende Dienstzeiten darstellen. So steht Polizisten nach dem BVerwG auch für sogenannte „Ruhezeiten“ während eines Großeinsatzes ein Freizeitausgleich zu. Mit diesem Ergebnis entschied das Bundesverwaltungsgericht in dem oben angeführten, als Grundsatzentscheidung zu bezeichnenden Urteilen.
Nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt mussten sich die Beamten bei dem G7-Gipfel im bayerischen Elmau (in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen an der Zugspitze) im Jahr 2015 zeitweise in einem Hotel in Bereitschaft halten. Sie hatten dabei zahlreiche Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit zu akzeptieren.
Für die Dauer des Einsatzes waren die Beamt:innen in einem Hotel untergebracht. Sie waren auch während der so bezeichneten „Ruhezeiten“ angewiesen worden, keinen Alkohol zu sich zu nehmen, die Waffe zu tragen und das Handy stets griffbereit zu halten, um im Bedarfsfall sofort einsetzbar zu sein. Während der Schlafenszeit mussten sie ihre Waffe in den Hotelsafe bereitlegen. Das Gebäude durften sie allenfalls zu bestimmten Anlässen und ausschließlich nur nach vorheriger Genehmigung, nicht jedoch nach eigenem Belieben verlassen. Eine private Freizeitgestaltung war ihnen somit untersagt.
Wenn Beamt:innen ständig erreichbar sein und ihre Ausrüstung immer bei sich tragen müssen und ihre Unterbringung höchstens zu gewissen Anlässen nach vorheriger Genehmigung verlassen dürfen, dann stellt die von ihnen dem Dienstherrn hierbei zur Verfügung gestellte Zeit einen Bereitschaftsdienst dar (siehe dazu auch § 2 Ziffer 14 AZV), welcher im konkreten Fall zu einem Freizeitausgleich führte: Für jede Stunde Bereitschaftsdienst war demnach eine Stunde Dienstbefreiung zu bewilligen (§ 88 Satz 2 BBG). Eine Vergütung von Mehrarbeit ist nur nach den Vorgaben der Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung für Beamtinnen und Beamte des Bundes (Bundesmehrarbeitsvergütungsverordnung - BMVergV) möglich.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt Bereitschaftsdienst nämlich stets dann vor, wenn die Beamt:innen sich an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort außerhalb des Privatbereichs zu einem jederzeitigen unverzüglichen Einsatz bereitzuhalten haben und erfahrungsgemäß mit einer dienstlichen Inanspruchnahme gerechnet werden kann (BVerwG v. 1.12. 2020 - 2 B 38/20). Ob es zu einem solchen dienstlichen Einsatz kommt, spielt dabei keine Rolle.
Die im Gegensatz dazu die Beamt:innen schlechter stellende Vorschrift des § 11 BPolBG, wonach bei Einsätzen und bei Übungen von Verbänden, Einheiten oder Teileinheiten der Bundespolizei von einer Dauer von mehr als einem Tag anstelle einer Dienstbefreiung ein einheitlicher Freizeitausgleich festgesetzt wird, durfte damit vom Dienstherrn nicht angewendet werden. Eine entsprechende „Dienstbefreiung“ nach § 88 Satz 2BBG bewirkt bei Bereitschaftsdienst vielmehr stets den gleichen Anspruch auf Freizeitausgleich wie bei Volldienst (siehe oben).
Dass die in diesem Fall also uneingeschränkte Dienstleistung einen Freizeitausgleich erfordert, ergibt sich – so das BVerwG – insbesondere aus dem hier anzuwendenden Europarecht (Richtlinie 2003/EG) und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH v. 21.2.2018 - C-518/15 – Matzak; hier ergangen zum Feuerwehdienst).
Fazit:
Es obliegt nicht dem Dienstherrn, Dienstzeiten zum Nachteil seiner Beschäftigten als Ruhezeiten zu definieren. Maßgeblich ist vielmehr, ob er eine „Mehrarbeit“ im Sinne von § 88 Abs. 2 BBG angeordnet hat, wovon auszugehen ist, wenn die Beamt:innen an strenge Anordnungen gebunden sind.
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
§ 2 Ziffer 14 AZV
„Rufbereitschaft die Pflicht, sich außerhalb des Arbeitsplatzes bereitzuhalten, um bei Bedarf sofort zu Dienstleistungen abgerufen werden zu können.“
Lesen Sie dazu auch den Beitrag:
Siehe dazu insbesondere:
- Weiß/Niedermaier/Summer, Rn. 1ff. zu Art. 87 BayBG
- Schütz/Maiwald, Rn. 1ff zu § 61 LBG NRW
- v. Roetteken/Rothländer, Rn. 1ff. zu § 61 HBG
Der nächste Beitrag in dieser Reihe erscheint nach Allerheiligen am 8. 11. 2021

