Liebe Leserin, lieber Leser,
ein BEM-Verfahren entspricht nach der jüngsten Rechtsprechung des BAG (BAG v. 20.5.2020 – 7 AZR 100/19) den gesetzlichen Anforderungen nur dann, wenn es keine vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Anpassungs- und Änderungsmöglichkeiten ausschließt und in ihm die von den Teilnehmern eingebrachten Vorschläge sachlich erörtert werden.
Der Ablauf des BEM lässt sich wie folgt einteilen:
Erste Phase:
Feststellung der für § 167 Abs. 2 SGB IX erforderlichen Dauer der Arbeits- bzw. Dienstunfähigkeit von 6 Wochen (Berechnung siehe unten),
Schriftlicher Erstkontakt mit Information des Beschäftigten über die Grundsätze und Ziele des Verfahrens, Freiwilligkeit, jederzeitige Rücktrittsmöglichkeit bei Zustimmung.
Zweite Phase:
Dritte Phase:
Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen
Überprüfung der Wirksamkeit der Vorgehensweise
Durch die Neuregelung des § 167 Abs. 2 Satz 2 SGB IX ist mittlerweile geklärt, dass der Beschäftigte eine eigene Vertrauensperson (auch einen Rechtsanwalt) zum Verfahren hinzuziehen darf. Als externen Teilnehmer an den Gesprächen sieht das Gesetz außerdem einen Beschäftigten des zuständigen Integrationsamts vor, weil dieser die am Verfahren Beteiligten aus erster Hand über etwaige Möglichkeiten staatlicher Leistungen und Hilfen beraten kann.
Ein BEM ist nach § 167 Abs. 2 SGB IX dann anzubieten, wenn der Beschäftigte „ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt war“. Die Vorschrift geht dabei von einer Abwesenheitsdauer von 6 Wochen = 42 Tage innerhalb eines Jahres aus. Maßgeblich ist dabei nicht das Kalenderjahr (1.1.-31.12.), sondern der erste in den Zeitraum fallende Krankheitstag. Grund und Art der Erkrankung spielen dabei keine Rolle.
Bei einer 5-Tage Woche ergibt sich für die maßgebliche Abwesenheitsdauer dabei folgende Berechnung:
6 X 5 = 30 Arbeitstage.
Entsprechend ergibt sich bei einer 6-Tage-Woche:
6 X 6 =36 Arbeitstage.
Bei einer Teilzeitbeschäftigung kann, wenn die Arbeitszeit nach Stunden berechnet wird, eine entsprechende stundenmäßige Berechnung vorgenommen werden. Anderenfalls ergeben sich zuverlässige Anhaltspunkte aus einer sinngemäßen Anwendung der Vorschriften des Urlaubsrechts.
Ist ein Arbeitnehmer oder Beamter beispielsweise mit 2 ½ Tagen pro Woche teilzeitbeschäftigt, so arbeitet er de facto an drei Tagen pro Woche. Damit ergibt sich die Anzahl der maßgeblichen krankheitsbedingten Abwesenheitstage wie folgt:
6 X 3 = 18 Arbeitstage.
Der Arbeitgeber/Dienstherr muss nach einem bereits durchgeführten BEM erneut ein solches Verfahren anbieten und gegebenenfalls vornehmen, wenn der Beschäftigte nach Abschluss des ersten BEM innerhalb eines Jahres erneut länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig wird (LAG Düsseldorf v. 9.12.2020 – 12 Sa 554/20).
Für die Frage, ob ein BEM auch während einer bestehenden – und attestierten – Dienstunfähigkeit durchgeführt werden kann, wäre es erforderlich, dass der behandelnde Arzt den Beamten nur „teilweise dienstunfähig“ schreiben kann. Eine solche vorübergehende „teilweise Dienstunfähigkeit“ kennt weder das Arbeitsrecht noch das Beamtenrecht.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Beamten- und Angestelltenverhältnissen besteht dabei aber insbesondere wegen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: Würde das BEM nach sechswöchiger Abwesenheit während eines Arbeitsverhältnisses – ohne Krankenstand – stattfinden, so müsste der Arbeitgeber Lohn zahlen. Die Besoldung der Beamten läuft dagegen auch nach einer sechswöchigen Dienstunfähigkeit ungeschmälert weiter. Besoldungsrechtlich ist es also hier ohne Bedeutung, ob das BEM während des Krankenstandes oder erst bei Wiedergenesung durchgeführt wird.
Dabei bietet sich folgende Lösung an: Beamte und Arbeitnehmer sind berechtigt, während einer vorübergehenden Dienstunfähigkeit dem Dienst fernzubleiben (für Beamte vgl. § 96 BBG). Das BEM ist keinesfalls lediglich die Vorbereitung auf eine erst spätere Pflichterfüllung, sondern es wird im Rahmen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses durchgeführt. Die Teilnahme am BEM stellt damit selbst eine Dienstleistung dar. Dies spricht in einem hohen Maße dafür, dass das BEM erst nach einer vorübergehenden und vom Arzt attestierten Dienstunfähigkeit durchzuführen ist. Die erforderlichen Gespräche können entgegen dieser Systematik allenfalls dann während des noch bestehenden Krankenstandes durchgeführt werden, wenn der Beschäftigte damit einverstanden ist.
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
Hinweis:
Eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement finden Sie im Lexikon Beamtenrecht unter dem Stichwort:
Betriebliches Eingliederungsmanagement
Anhang:
1. § 80 Abs. 1 Nr. 17 BPersVG
Der Personalrat bestimmt mit, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, über….
17) Grundsätze des behördlichen oder betrieblichen Gesundheits- und Eingliederungsmanagements,
2. § 167 Abs. 2 SGB IX:
„Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Beschäftigte können zusätzlich eine Vertrauensperson eigener Wahl hinzuziehen. Soweit erforderlich, wird der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die Rehabilitationsträger oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Leistungen oder Hilfen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Absatz 2 Satz 2 erbracht werden. Die zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können die Klärung verlangen. Sie wachen darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt.
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