Liebe Leserin, lieber Leser,
1. Grundrechtswidrige Haltung
Typisch für die Reichsbürgerbewegung in all ihren unterschiedlichen Ausformungen ist folgende Behauptung: Deutschland besteht rechtlich als "Deutsches Reich" in den Grenzen von 1937 fort – die Bundesrepublik ist deshalb illegal, ihre Gesetze – auch das Grundgesetz – haben keine Gültigkeit.1 Eine Gemeinsamkeit der äußerst heterogenen Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ ist weiterhin die rigorose Ablehnung des Staates, seiner Repräsentanten sowie der gesamten Rechtsordnung. Schon hieraus ist zu schließen: Mitglieder der Reichsbürgerbewegung und ihrer verschiedenen Gruppierungen befinden sich nicht auf dem Boden der Verfassung.
2. Zahl der „Reichsbürger“ nach dem Verfassungsschutzbericht
Mit Stand vom 30. September 2018 wurden dem „Bundesbeobachtungsobjekt Reichsbürger und Selbstverwalter“ 19.000 Personen, davon ca. 950 als Rechtsextremisten zugeordnet.2 Beide Zahlen steigen nahezu täglich. Nach der Liste der in Bayern als verfassungswidrig eingestuften Parteien gehören die Reichsbürgerbewegung (bspw. Exil-Regierung Deutsches Reich, Bundesstaat Bayern, Heimatgesellschaft Gemeinde Chiemgau) und die sog. Selbstverwalter (Personen, die erklären, aus der Bundesrepublik Deutschland ausgetreten zu sein und bspw. ihre Wohnung, ihr Haus oder ihr Grundstück als souveränes Staatsgebiet definieren).
Siehe dazu Ziffer 4 des unter
http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayVV_108268-0
abgedruckten Verzeichnisses extremistischer oder extremistisch beeinflusster Organisationen.
3. Betätigungsfelder3 und Straftaten
„Reichsbürger“ beanspruchen hoheitliche Rechte und Aufgaben, insbesondere im Umgang mit Behörden und staatlichen Stellen. Hierzu produzieren und vertreiben sie z. B. Fantasieausweise oder nehmen Änderungen an ihren Kfz-Kennzeichen vor. Im Jahr 2017 wurden erstmals die Straf- und Gewalttaten von „Reichsbürgern und Selbstverwaltern“ in der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität (PMK) erfasst. Den Szene-Angehörigen wurden in diesem Jahr insgesamt 911 politisch motivierte Straftaten zugerechnet, von denen 783 vom Verfassungsschutz als extremistisch eingeordnet werden. Unter diesen extremistischen Straftaten waren nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes insgesamt 130 Gewalttaten, vor allem Erpressungsdelikte (90) und Widerstandsdelikte (30). Bei den weiteren Straftatbeständen dominieren insbesondere Nötigung und Bedrohung (233). Außerdem wurden „Reichsbürgern und Selbstverwaltern“ 36 antisemitische Straftaten zugeordnet, bei denen es sich im Wesentlichen um Volksverhetzungsdelikte handelte (24). Antisemitische Gewalttaten wurden nicht festgestellt. Die – in absoluten Zahlen – meisten extremistischen Straftaten begingen „Reichsbürger und Selbstverwalter“ in Bayern (345, davon 64 Gewalttaten und 118 Fälle von Nötigung bzw. Bedrohung).
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat einen 50-jährigen Reichsbürger und Todesschützen zu lebenslanger Haft verurteilt. Er hatte auf Beamte einer Spezialeinheit geschossen. Ein Polizist starb, zwei weitere wurden verletzt.4
4. Reichsbürger im öffentlichen Dienst
Immer wieder werden Stimmen laut, nach denen eine nicht unerhebliche Zahl von „Reichsbürgern“ im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, oder zu Beamten ernannt werden wollen. Die politische Treuepflicht gebietet, dass der Beamte den Staat und seine Verfassungsorgane bejaht, sie als schützenswert begreift, sich zu ihnen bekennt und aktiv für sie eintritt. Die Treuepflicht fordert vom Beamten, dass er sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die diesen Staat, dessen Organe und Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren.5
a) Keine Ernennung von Reichsbürgern in ein Beamtenverhältnis
Die Ernennung eines Reichsbürgers in ein Beamtenverhältnis ist nach § 7 Abs. 1 Ziffer 2 BeamtStG (Landes- und Kommunalbeamte) bzw. § 7 Abs. 1 Ziffer 2 BBG (Bundesbeamte) nicht möglich, weil die Gewähr nicht gegeben ist, dass sie jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung eintreten.
b) Beendigung von bestehenden Beamtenverhältnissen
Stellt sich erst während eines bereits bestehenden Beamtenverhältnisses heraus, dass der Beamte Teil der Reichsbürgerbewegung ist, so wird das Beamtenverhältnis beendet. Nach dem Bundesbeamtengesetz und dem Beamtenstatusgesetz bestehen dafür mehrere rechtliche Grundlagen. In diesem Zusammenhang ist es jedoch wichtig darauf hinzuweisen, dass das „bloße Haben einer Überzeugung und die bloße Mitteilung, dass man diese habe, noch nicht zwingend eine Verletzung der politischen Treuepflicht“ darstellt.6 Treuepflicht bedeutet nämlich nicht, dass der Beamte mit den Zielen der jeweiligen Regierung übereinzustimmen hat.7 Ein Beamtenverhältnis eingegangen zu sein, schließt die Kritik am Erscheinungsbild des Staates und seiner Regierung nicht aus. Erforderlich ist deshalb, dass durch entsprechende aktive Handlungen die Schwelle des „bloßen Habens einer Überzeugung“ überschritten wird. Ist etwa ein Beamter durch einen Antrag auf „Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit“ oder durch eine Angabe, „er habe seine deutsche Staatsangehörigkeit durch Abstammung vom Vater gem. § 4 Abs. 1 RuStaG mit Stand von 1913 erworben“, so liegt hierin ein aktives Handeln, das den Rückschluss auf eine verfassungsfeindliche Einstellung mit den beamtenrechtlichen Folgen rechtfertigt. Gleiches gilt, wenn er seine verfassungsfeindliche Haltung auf andere Weise öffentlich kundtut.
Verletzt ein Beamter durch sein dienstliches oder außerdienstliches Verhalten die ihm gem. § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG/§ 52 Abs. 2 BBG obliegende Pflicht, sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten, kann dies geeignet sein, das zwischen dem Beamten und seinem Dienstherrn bestehende Vertrauensverhältnis unheilbar zu zerstören, und somit die Beendigung des Beamtenverhältnisses rechtfertigen.8 Dabei kommt es weder darauf an, wie sich die verfassungswidrige Einstellung auf die konkrete Tätigkeit ausgewirkt haben könnte, noch kann sich der Beamte darauf berufen, dass es bisher nicht zu konkreten Beanstandungen seiner Dienstausübung gekommen ist.9 Die politische Treueverpflichtung des Beamten auf die Verfassungsordnung stellt vielmehr ein absolutes personenbezogenes Eignungsmerkmal dar, welches das dienstliche und das außerdienstliche Verhalten des Beamten gleichermaßen betrifft.10
aa) Eidespflicht
Würde sich ein dennoch ernannter Reichsbürger weigern, den nach deutschen Recht erforderlichen „Amtseid“ auf das (von ihm als nicht geltend eingestufte) Grundgesetz abzulegen, so müsste er nach § 23 Abs. 1 Ziffer 1 BeamtStG bzw. § 32 Abs. 1 Ziffer 1 BBG sofort entlassen werden.
bb) Rücknahme der Ernennung
Hat ein „Reichsbürger“ vor seiner Ernennung seine Mitgliedschaft in einer solchen Vereinigung mit verfassungsfeindlichem Hintergrund trotz einer entsprechenden Frage verschwiegen, so hat er eine arglistige Täuschungshandlung begangen, was zur Folge hat, dass das begründete Beamtenverhältnis zurückgenommen werden müsste (§ 12 Abs. 1 Ziffer 1 BeamtStG/§ 14 Abs. 1 Ziffer 1 BBG).
Hat der Beamte seine Überzeugung erst nach seiner Berufung ins Beamtenverhältnis gewonnen und dies entsprechend zum Ausdruck gebracht, so ist nach dem jeweiligen Beamtenverhältnis zu unterscheiden:
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
3 Die folgenden Aussagen entstammen erneut dem Verfassungsschutzbericht.
5 So schon der „Radikalenerlass“ des BVerfG v. 22.5.1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334.
6 Wichmann/Langer, Öffentliches Dienstrecht, 8. Aufl. 2017, Rn. 201.
7 VG Düsseldorf v. 22.02.2017 – 35 K 12521/16.O – juris mit Anmerkung Keller.
8 OVG NRW, Beschluss v. 24.10.2018 – 3d B 1383/18.BDG – zur Entfernung aus dem Dienst eines verbeamteten Lokomotivführers. Das OVG bestätigt darin die Entscheidung der Vorinstanz, vgl.: VG Düsseldorf v. 29.8.2018 – 38 L 1841/18.BDG.
9 OVG NRW, Beschluss v. 24.10.2018 – 3d B 1383/18.BDG.
10 BVerwG, Urteil v. 17.11.2017 – 2 C 25.17.
11 Urt. v. 14.08.2018 – 3 K 2486/18.TR.
12 Urt. v. 29.11.2018 – AN 13a D 18.00600.
13 BVerwG, Urt. v. 28.11.2001 – 16 D 00.2077; BayVGH, Urt. .v. 28.11.2001 – 16 D 00.2077; VG Magdeburg, Urt. v. 30.3.2017 – 15 A 16/16.
14 https://www.sueddeutsche.de/bayern/reichsbuerger-polizei-beamte-entlassen-1.4426247
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