Liebe Leserin, lieber Leser,
§ 96 BBG gilt für Bundesbeamte und findet seine Parallele in den verschiedenen landesbeamtenrechtlichen Regelungen.
Die Pflicht des Beamten zur Dienstleistung zur vorgeschriebenen Zeit und am vorgeschriebenen Ort ergibt sich dabei bereits aus § 61 BBG und § 34 BeamtStG. Für alle Fälle der Beurlaubungen ist in den jeweiligen Spezialregelungen ein Genehmigungsvorbehalt enthalten.
Solche Genehmigungsvorbehalte, die im Ergebnis zu einem „erlaubten“ Fernbleiben vom Dienst führen, ergeben sich etwa aus dem allgemeinen Urlaubsrecht (vgl. EUrlV und das entsprechende Landesrecht) einschließlich Sonderurlaub (SUrlV) und Dienstbefreiungen, sowie allen anderen Freistellungsformen des Beamtenrechts.
Die Regelung des § 96 BBG – und des entsprechenden Landesrechts – hat jedoch noch eine außerhalb der unmittelbaren Rechterheblichkeit liegende Bedeutung: Durch ihre Negativfassung hat sie auch die Bedeutung einer tatbestandsmäßigen Festlegung eines einzelnen, normierten Tatbestand eines Dienstvergehens.
Der Begriff des Fernbleibens vom Dienst wird im Beamtenrecht als Nichterfüllung einer grundsätzlich nach Ort und Zeit festliegenden Dienstleistungspflicht verstanden, allerdings beschränkt auf den Nichtantritt des Dienstes und auf vorzeitige Beendigung dieser zeitlich und örtlich geschuldeten Dienstleistung. Es geht letztlich um die Pflicht zum zuverlässigen Dienstantritt und zur Dienstpräsenz. Diese Pflicht wird von der Rechtsprechung zu Recht als Grundpflicht des Beamtenverhältnisses angesehen (BVerwG, Urt. v. 22.4.1991 – 1 D 62/90).
Die Bestimmungen über das Fernbleiben gelten auch für Beamte, die im Außendienst beschäftigt sind (Betriebsprüfer bei Steuer und Sozialversicherung, Vermessungsbeamte etc.). Diese gelten insofern auch für Polizeibeamte im Streifendienst oder bei außerbehördlichen Ermittlungen (Schütz/Maiwald, § 62 LBG NRW).
Der zeitliche Umfang der Dienstleistungspflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitszeitrecht. Die Zeit der Rufbereitschaft, d. h. der Verpflichtung, während der dienstfreien Zeit erreichbar zu sein, ist keine Arbeitszeit. Wird der Beamte während einer Rufbereitschaft zur Dienstleistung aufgefordert, beginnt das Fernbleiben vom Dienst mit dem Nichtantritt zum Aufforderungszeitpunkt.
Für bestimmte Beamtengruppen sind die Dienstleistungspflichten abweichend vom allgemeinen Arbeitszeitrecht für Beamte bestimmt. Bei Lehrern, aber auch bei wissenschaftlichem und künstlerischem Personal an Hochschulen mit Lehrverpflichtung ergeben sich die Dienstleistungspflichten in zeitlicher Hinsicht zunächst aus dem auferlegten Stundendeputat (Lehrverpflichtung).
Ist die Nichterfüllung einer allgemein auferlegten Dienstleistungspflicht im Sinn einer Anwesenheitspflicht der objektive Tatbestand des § 96 BBG und des jeweiligen Landesrechts, können die Genehmigung des Fernbleibens vom Dienst sowie Krankheit und Ähnliches systematisch nur als Rechtfertigungsgründe für das Fernbleiben eingeordnet werden.
Möglich und im Endeffekt auch erforderlich ist es, die Fälle der Untersuchungshaft, der Strafhaft und des polizeilichen Gewahrsams als Fälle einer „vis absoluta“ zu betrachten, bei denen es auch beim Unterlassen einer gebotenen Handlung (= Dienstleistung) an der Willensgetragenheit des Unterlassens und damit an der Tatbestandsmäßigkeit der Norm fehlt, wenn der Beamte nicht zum Dienst erscheinen kann. Daraus ergibt sich: Die Fälle der Verhinderung der Dienstleistung durch Untersuchungshaft, Strafhaft oder polizeilichen Gewahrsam sind objektive Verhinderungen und lassen bereits die Tatbestandsmäßigkeit des § 96 BBG entfallen.
Erledigt der Beamte während der Dienstzeit im Büro private Angelegenheiten (dazu Schütz/Maiwald, § 62 LBG NRW, Rn. 3 und Summer, PersV 2004, 416) so liegt hierin zwar kein Verstoß im Sinne des § 96 BBG und des entsprechenden Landesrechts, denn die (körperliche) Anwesenheit zu der vorgeschriebenen Zeit und am vorgeschriebenen Ort ist gewahrt und die Fälle der passiven Resistenz (Arbeitsverweigerung) fallen nach allgemeiner Auffassung nicht unter den Begriff des Fernbleibens vom Dienst (v. Roetteken in: v. Roetteken/Rothländer, HBR, § 68 HBG Rn. 39). Eine solche Art der Arbeitsverweigerung ist aber ein Dienstvergehen mit der Möglichkeit der disziplinären Verfolgung bei Verschulden.
Unter § 96 BBG – und das jeweilige Landesbeamtenrecht – fallen auch schlichte „Unpünktlichkeiten“ einschließlich eigenmächtiger Arbeitszeitverlegungen. (Summer in: Schwegmann/Summer, § 9 BBesG, Rn. 7 f.)
Unter den Tatbestand des § 96 BBG und des jeweiligen Landesrechts fällt auch der (unzulässige) Beamtenstreik, wenn er mit einem räumlichen Fernbleiben vom Ort der Dienstleistung verbunden ist (Summer in: Schwegmann/Summer, BBesG, § 9 Rn. 7d).
Der Streik an Ort und Stelle und streikähnliche Maßnahmen ohne Entfernung vom Ort der Dienstleistung sind zwar kein Fernbleiben vom Dienst, solche Maßnahmen bleiben aber dennoch als Verstöße gegen andere normierte Dienstpflichten ein Dienstvergehen.
Fernbleiben vom Dienst liegt aber auch vor bei Antritt eines nicht genehmigten Urlaubs und bei Urlaubsüberschreitung (Summer in: Schwegmann/Summer, BBesG Rn. 7c und d; zur Überschreitung des Elternurlaubs siehe BVerwG v. 28.2.1978 – I WB 74.77 – BVerwGE 63, 11/12 ff.).
Der genehmigte Urlaub und die genehmigte Freistellung vom Dienst führen dagegen dazu, dass die Dienstleistungspflicht entfällt und damit schon das Tatbestandsmerkmal des Fernbleibens vom Dienst entfällt.
Nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschl. v. 11.2.1997 –1 DB 12/96) berechtigt das Schweigen des Dienstvorgesetzten auf einen schriftlich gestellten Urlaubsantrag nicht zum Fernbleiben vom Dienst.
Dabei ist jedoch auf die Besonderheiten des Einzelfalls abzustellen und damit die Aussage in der Entscheidung zu allgemein gehalten. Es kann durchaus „behördliche“ Übung sein, den beantragten Urlaub antreten zu können, wenn keine ausdrückliche Ablehnung erfolgt.
Bei einer Urlaubsüberschreitung kommt es darauf an, in welchem Ausmaß der Beamte bei sog. Abenteuerreisen Vorkehrungen für eine rechtzeitige Rückkehr treffen muss (Summer in: Schwegmann/Summer, BBesG, § 9 Rn. 7c). Man kann hierzu vertreten, dass der Beamte sich die verlängerte Freizeit durch die Urlaubsüberschreitung im Anspruch auf Erholungsurlaub „gegenrechnen“ lassen muss.
Beamte, die einen Entlassungsantrag gestellt haben, sind verpflichtet, bis zur Wirksamkeit der Entlassung Dienst zu leisten.
Sie können sich auch nicht einen zustehenden Resturlaub selbst bewilligen und zwar auch dann nicht, wenn der Urlaub rechnerisch zusteht. Die Folge wird eine Rückforderung zu viel bezahlter Bezüge für die Zeit des – unberechtigten – Fernbleibens vom Dienst sein. Allerdings kann auch seitens der Beschäftigungsbehörde ein Interesse daran bestehen, dass ein Beamter/eine Beamtin nicht mehr zum Dienst erscheint. Denkbar ist dies etwa dann, wenn der Beamte/die Beamtin auf Probe oder auf Widerruf durch den Entlassungsantrag einer Entlassung durch den Dienstherrn oder – bei Beamten auf Lebenszeit – einer Entfernung aus dem Dienst nach Disziplinarrecht zuvorkommen will. Nach Auffassung des Verfassers sind für eine solche Fallkonstellation aber bei allen Beamtenverhältnissen (vgl. Weiß/Niedermaier/Summer, § 39 BeamtStG, Rn. 14) das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nach § 39 BeamtStG und entsprechende weitergehende Anordnungen (Hausverbote etc.) der richtige Weg.
Die Genehmigung des Fernbleibens vom Dienst macht das Fernbleiben vom Dienst rechtmäßig. Die Genehmigung ist daher ein im Gesetz selbst enthaltener Rechtfertigungsgrund. Die Genehmigung kann dabei schriftlich oder mündlich erteilt werden.
Eine solche Genehmigung stellt auch die Urlaubsgewährung bzw. die Gewährung von Dienstbefreiung dar. Grundsätzlich ist die Genehmigung vom Beamten vor dem Fernbleiben vom Dienst zu erwirken.
Das Fernbleiben vom Dienst kann ausnahmsweise auch nachträglich genehmigt werden, etwa durch nachträgliche Urlaubsgewährung oder durch Einverständnis mit dem Einarbeiten der ausgefallenen Dienstleistung. Mit der nachträglichen Genehmigung entsteht ein Rechtfertigungsgrund zum Tatbestand des § 96 BBesG, aber auch des § 9 BBesG.
Da bei der Annahme eines Parlamentsmandats die Rechte und Pflichten aus dem Beamtenverhältnis ruhen, stellt sich bei dieser Konstellation die Frage einer Genehmigung des Fernbleibens vom Dienst nicht.
Die Genehmigung des Fernbleibens vom Dienst ist ebenso wie die Ablehnung der Genehmigung als Verwaltungsakt nach § 35 VwVfG zu werten.
Der Widerspruch gegen die Ablehnung der Genehmigung ist nach § 126 Abs. 2 BBG/§ 54 Abs. 2 BeamtStG statthaft. Er führt aber nicht dazu, dass der Beamte das Fernbleiben vom Dienst als vorläufig genehmigt ansehen kann. Es handelt sich nämlich um einen vorgerichtlichen Rechtsbehelf, der einer Versagungsgegenklage des Beamten vorausgeht. Eine aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO kann aber nur dort bestehen, wo in die Rechtsstellung des Betroffenen eingegriffen wird, nicht aber da, wo dieser Betroffene seine rechtliche Stellung (rechtmäßiges Fernbleiben vom Dienst) erweitern will. Insofern ist der Beamte auf den einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO angewiesen und muss – will er dem Dienst fernbleiben – eine Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem nach § 126 Abs. 1 BeamtStG/§ 54 Abs. 1 VwGO zuständigen Verwaltungsgericht stellen.
Eine Rücknahme der Genehmigung des Fernbleibens vom Dienst stellt als „actus contrarius“ ebenfalls einen Verwaltungsakt nach § 35 VwVfG dar. Sie wird in der Regel nur möglich sein, wenn der Beamte die Genehmigung durch unrichtige Angaben erwirkt hat (§ 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG) oder wenn dringende Gründe zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs gegeben sind.
Rechtfertigungsgründe für das Fernbleiben vom Dienst sind insbesondere:
a) Aktuelle und vorübergehende Dienstunfähigkeit (Arbeitsunfähigkeit)
b) Beurlaubung nach § 9 Arbeitsplatzschutzgesetz
c) Beschäftigungsverbote nach Mutterschutzrecht
d) Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten und von Pflichten aus Ehrenämtern
e) Hilfeleistungspflichten nach § 323c StGB
f) tatsächliche Dienstverhinderung
g) ungenügende Maßnahmen des Dienstvorgesetzten gegen Belästigungen am Arbeitsplatz;
siehe dazu: „Mobbing“ und „Bossing“ im Beamtenrecht
h) schwerwiegende Verletzung des Anspruchs auf amtsgemäße Verwendung
i) schwerwiegende arbeitsmedizinische Bedenken zum Arbeitsplatz
Eine tatsächliche Dienstverhinderung liegt etwa dann vor, wenn der Beamte durch ein Naturereignis, durch den Ausfall von Verkehrsmitteln, durch einen Verkehrsunfall oder aus ähnlichen Gründen den Dienst nicht rechtzeitig antreten kann. Hierbei ist aber zu beachten, dass sich der Beamte auf einen Ausfall von Verkehrsmitteln nicht berufen kann, wenn dieser vorhersehbar war und der Beamte eine zumutbare andere Möglichkeit hatte, den Arbeitsplatz rechtzeitig zu erreichen. Dies wird etwa bei einem angekündigten Streik in Verkehrsbetrieben der Fall sein.
Bleibt der Beamte seinem Dienst unberechtigt fern, so verliert er seine Besoldung.
Siehe hierzu: Verlust der Dienstbezüge beim Fernbleiben vom Dienst.
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
Lesen Sie dazu auch die Beiträge mit dem Titel:
Näheres siehe in der Literatur bei:
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