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AGG 2.0 - was sich ändern soll!

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Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung hat ein Grundsatzpapier zur Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz vorgelegt. Welche Änderungen ergäben sich für das Personalmanagement?

Liebe Leserinnen und Leser,

das im Jahr 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) löste seinerzeit einen (kleinen) Sturm der Entrüstung aus. Als Reaktionen habe ich mir damals notiert: „AGG als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Abzocker“, „Klageflut wird erwartet“, „AGG schadet der deutschen Wirtschaft“. Zwischenzeitlich haben sich die Wogen geglättet, die deutsche Wirtschaft ist seit 2006 kräftig gewachsen und die Regelungen des AGG haben ihre Wirkung im Personalmanagement, insbesondere in der Personalanwerbung und –auswahl sowie der Personalführung entfaltet.

Ziel des AGG

Mit dem AGG wurden europarechtliche Vorgaben zur Gleichbehandlung verschiedener Menschengruppen in nationales Recht umgesetzt. Das AGG hat zum Ziel, Benachteiligungen „… aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“ (§ 1 AGG). Zusätzlich zum Personalmanagement ist das AGG auch für den Zivilrechtsverkehr bedeutsam. Wer sich kurz und knapp über die Regelungen des AGG informieren möchte, sei z. B. auf Gourmelon, Seidel und Treier (2019, S. 30 – 32) verwiesen.

Reformbestrebungen

Inzwischen gibt es Bestrebungen, das AGG zu reformieren. Zu diesen Bestrebungen zählen u. a. ein Antrag von Abgeordneten der Partei „Die Linken“ des Bundestages (Deutscher Bundestag, 2022), zu dem es im November 2023 eine Anhörung gab, sowie ein Grundlagenpapier der Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung (2023, UBA). Letztere bezieht sich auf den Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, in dem Vorhaben mit Bezug zum AGG vereinbart wurden.

Vorschläge der UBA

Die UBA möchte mit ihren Vorschlägen bestehende Schutzlücken des AGG schließen und den Diskriminierungsschutz ausweiten. Weiterhin soll die praktische Wirksamkeit des AGG gestärkt werden. Für Betroffene von Diskriminierungen soll es einfacher werden, ihre Rechte durchzusetzen (UBA, 2023, S. 2).

Mehr geschützte Merkmale

Neben den bereits geschützten Merkmalen sollen hierzu zukünftig auch die Merkmale „Staatsangehörigkeit“, „sozialer Status“ und „familiäre Fürsorgeverantwortung“ im § 1 AGG aufgelistet werden. „Sozialer Status“ bezieht sich dabei auf die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Schicht, den Bildungsstand und die finanzielle Leistungsfähigkeit. „Familiäre Fürsorgeverantwortung“ umfasst Eltern und Menschen, die ihre Angehörigen pflegen. Die Formulierung „aus Gründen der Rasse“ soll durch „…aufgrund von „rassistischer und antisemitischer Zuschreibungen““ ersetzt werden (UBA, 2023, S. 3).

Der Anwendungsbereich des AGG soll auf staatliches Handeln des Bundes ausgeweitet werden. Weiterhin sieht die UAB vor, dass der Einsatz automatisierter Entscheidungssysteme – vulgo KI – zukünftig ein Benachteiligungstatbestand gemäß § 3 AGG sein soll. Zudem „…sollte in § 3 AGG aufgenommen werden, dass die Verweigerung angemessener Vorkehrungen [zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen; Ergänzung durch den Verfasser] eine Benachteiligung im Sinne des AGG ist und dass bei einem Verstoß gegen eine Verpflichtung zur Herstellung von Barrierefreiheit das Vorliegen einer Benachteiligung widerleglich als Indiz gewertet wird“ (UAB, 2023, S. 4 - 5). Der Schutz des AGG soll auf Freiwilligendienstleistende, Praktikanten‘1 und Freiberufler‘ ausgeweitet werden. Des Weiteren soll die Möglichkeit abgeschafft werden, Mindest- und Höchstanforderungen an das Alter von Beschäftigten zu stellen (UAB, 2023, S. 5 – 6).

Beschwerdestellen

Sofern keine betrieblichen Beschwerdestellen eingerichtet wurden, soll dies als Indiz für eine Benachteiligung zählen und so Ansprüche auf Schadensersatz oder Entschädigung nach sich ziehen können. Die UAB schlägt weiterhin vor, Mindeststandards für das betriebliche Beschwerdeverfahren zu normieren (UAB, 2023, S. 7).

Wird die Abwehr vernachlässigt?

Bislang erwartet das AGG von Arbeitgebern die Abwehr von Diskriminierungen. Dieser defensive Charakter des AGG könnte sich teilweise in einen offensiven Charakter verändern, wenn – wie von der UAB (2023, S. 7) gefordert – die öffentlichen Stellen des Bundes zukünftig verpflichtet sein sollen, die Wertschätzung der Vielfalt zu fördern, insbesondere durch eine diversitätsorientierte Rekrutierung, Aus- und Weiterbildung sowie Personal- und Organisationsentwicklung. Die vorgeschlagenen Regelungen zu „Wertschätzung von Vielfalt“ erinnern an Inhalte des Landesantidiskriminierungsgesetzes des damals rot-rot-grün dominierten Berlins (siehe Blog vom 17.07.2020).

Durchsetzung von Ansprüchen

Betroffene von Benachteiligungen müssen derzeit Indizien für Benachteiligungen beweisen, damit der Arbeitgeber im Streitfall die Beweislast trägt (§ 22 AGG). Der Nachweis von Diskriminierungen soll gemäß der UAB erleichtert werden, indem es zukünftig genügen soll, Indizien glaubhaft zu machen. Des Weiteren soll eine Auskunftspflicht (auch des Arbeitgebers) eingeführt werden. „Testings“ wären nach dem Vorschlag der UAB als hinreichendes Indiz zu werten. Die Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen soll von zwei auf zwölf Monate verlängert werden. Entschädigungen nach § 15 AGG sollen nach den Vorstellungen der UAB wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Weiterhin soll ein Verbandsklagerecht eingeführt werden. Die UAB soll ein altruistisches Klagerecht erhalten. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes erhält nach den Vorschlägen der UAB die Möglichkeit zu einer verbindlichen Schlichtung - die Teilnahme an der Schlichtung wäre für den Arbeitgeber ggf. Pflicht (UAB, 2023, S. 9 -12).

Folgen für das Personalmanagement

Würde das AGG gemäß den Vorstellungen der UAB reformiert, hätte dies für das Personalmanagement im öffentlichen Sektor deutliche Folgen. Relativ einfach wäre wohl die Verpflichtung zu bewältigen, Mindeststandards für Beschwerdestellen einzuführen. Nach meiner Wahrnehmung würde die Wertung einer Verweigerung angemessener Vorkehrungen (für Menschen mit Behinderungen) als Indiz für eine Benachteiligung bei einigen Führungskräften zu einer größeren Sensibilisierung und Handlungsbereitschaft bei dieser Thematik führen. Da die sich verschärfende Personalnot alle Personalverantwortlichen faktisch zur Vielfaltsförderung zwingt, erscheinen gesetzlich vorgeschriebene Maßnahmen zur Einstellungsänderung dieser Gruppe überflüssig. In Bezug auf die zusätzlich geschützten Merkmale sind Präzisierungen erforderlich, um Unklarheiten zu vermeiden. So braucht das Personalmanagement Gewissheit, ob z. B. Schul- oder Hochschulabschlüsse (als mögliche Indikatoren für das Merkmal „Bildungsstand“) noch Kriterien für die Karriereentwicklung und die Entlohnung / Stellenbewertung sein dürfen. Spannend wird sein, ob die Streichung von Mindest- und Höchstanforderungen an das Alter z. B. auch bei der Verbeamtung gelten soll. Den Einsatz von automatisierten Entscheidungssystemen - z. B. in der Personalauswahl - unter allen Umständen als Benachteiligung zu werten, würde die technologische Entwicklung in Deutschland behindern. Es wäre sinnvoll, den Einsatz von KI dann nicht als Benachteiligung zu werten, wenn der Anbieter oder Anwender die Diskriminierungsfreiheit des Entscheidungssystems nachweislich geprüft hat (siehe hierzu z. B. die Regelungen der DIN SPEC 91426).

Schau‘n mer mal, was das AGG 2.0 so bringen wird!

Herzlichst

Ihr
Andreas Gourmelon

Quellen:

Deutscher Bundestag (2022). Antidiskriminierungsstelle des Bundes stärken – Diskriminierungsschutz Erweitern. Drucksache 20/2696 vom 07.07.2022. (Abruf am 11.01.2024).

Gourmelon, A., Seidel, S. & Treier, M. (2019). Personalmanagement im öffentlichen Sektor. München: Rehm.

Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung (2023). Vielfalt, Respekt, Antidiskriminierung. Grundlagenpapier zur Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).(Abruf am 11.01.2024).


1Das generische Maskulinum wird mit Apostroph gekennzeichnet.

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