Liebe Leserin, lieber Leser,
eine Grundschullehrerin muss an ihrer Schule unterrichten, wenn ein ausreichender Hygieneplan und ein Arbeitsschutzkonzept gegen die Infektion mit dem Coronavirus bestehen. Die Beschwerde der Lehrerin gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Beschluss v. 05.05.2020)1 wurde vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof am 14.05.20202 zurückgewiesen.
Zur Erinnerung: Das VG Berlin3 hatte bereits am 14.04.2020 entschieden, dass die Anordnung des Dienstvorgesetzten an seine Beamten, ihre Dienstleistung während der Corona-Pandemie im „Home-Office“ zu erbringen, rechtmäßig sei (siehe dazu den Beitrag: Corona: Verpflichtung zum Home-Office rechtmäßig). Bei den beiden o.a. hessischen Entscheidungen lag der Fall genau entgegengesetzt, denn es ging nunmehr darum, ob der Dienstherr auch dann die Dienstleistung am üblichen Dienstort anordnen kann, wenn wegen einer Ansteckung mit dem SARS-CoV-2-Virus ein Restrisiko nicht ausgeschlossen werden kann. Würde sich hier eine entsprechende dienstliche Anordnung als rechtswidrig erweisen, so könnte der Beamte dem Dienst fernbleiben, weil insofern ein Rechtfertigungsgrund gegeben wäre.
Eine verbeamtete Lehrerin an einer Frankfurter Grundschule wollte angesichts der Coronavirus-Pandemie nicht zum Präsenzunterricht herangezogen werden, bis das Land Hessen einen ihrer Ansicht nach vollständigen Hygieneplan und ein hinreichendes Arbeitsschutzkonzept vorlegt. In einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren versuchte sie, ihren Einsatz untersagen zu lassen und scheiterte damit aber sowohl vor dem VG Frankfurt als auch vor dem HessVGH.
Das VG Frankfurt verneinte schon die besondere Eilbedürftigkeit. Entgegen der Annahme der Antragstellerin sei aufgrund der aktuellen Verlautbarungen zu den angestrebten Schulöffnungen über die Rückkehr einiger Klassen an die Grundschulen nicht davon auszugehen, dass bis zu den Sommerferien alle Grundschüler oder zumindest der überwiegende Teil wieder an die Schule zurückkehren werde. Die Wiederaufnahme des Normalbetriebes mit allen Schülern und einer zusätzlichen Frühbetreuung sei gegenwärtig nicht zu erwarten.
Entscheidend für die hier zu erörternde Problematik ist allerdings Folgendes: Das Verwaltungsgericht entschied, dass an der Schule der Lehrerin unter Fürsorge- und arbeitsschutzrechtlichen Gesichtspunkten genügend Vorkehrungen getroffen worden seien, um eine Gefährdung der Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrkräfte hinreichend zu minimieren. Das Land Hessen habe durch den am 22.04.2020 veröffentlichten „Hygieneplan Corona“ für die Schulen konkrete Handlungsanweisungen zu einem stufenweisen „Anfahren“ des Unterrichts erlassen. Dabei habe das Land als Dienstherr den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum, ob und wie eine Wiederaufnahme des Schulbetriebes angesichts der jeweils aktuellen Entwicklung der Pandemie erfolgen kann, in nicht zu beanstandender Weise genutzt.
Die Lehrerin könne jedenfalls nicht erwarten, mit einem bis ins letzte ausgefeilten Hygieneplan eine „Nullrisiko-Situation“ in der Schule anzutreffen. Würde man die Erwartung der Lehrerin an einen allumfassenden Gesundheitsschutz in Zeiten einer solchen Pandemie auf alle Bereiche der Daseinsvorsorge – wozu gerade auch die öffentlichen Lehranstalten zählten – übertragen, hätte dies einen vollständigen Zusammenbruch der Versorgung der Bevölkerung zur Folge. Eine verbeamtete Lehrerin habe aufgrund ihrer Treuepflicht die den Schulen übertragene Verantwortung gegenüber Schulkindern und Familien mitzutragen und Unterricht im Klassenzimmer abzuhalten.
DerHessVGH begründete die zurückgewiesene Beschwerde gegen den Beschluss des VGFrankfurtebenfalls damit, dass hinreichende Vorkehrungen zum Schutz vor der Lungenkrankheit getroffen worden seien. Die Lehrerin hätte sich nur dann weigern können zum Unterricht zu erscheinen, wenn dies für sie unzumutbar gewesen wäre – etwa durch eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben. Dies sei aber gerade nicht der Fall gewesen. Lehrkräfte und andere schulische Mitarbeiter im Landesdienst müssten dem Dienst grundsätzlich gemäß ihrem individuellen Stunden- oder Einsatzplan in der Schule nachkommen und dort außerunterrichtliche Aufgaben übernehmen. Die Schulleitung könne jedoch in eigener Verantwortung entscheiden, in welchem Umfang Lehrkräfte mit der Wahrnehmung von außerunterrichtlichen Aufgaben zu Hause betraut werden.
Im Grunde geht es bei der Frage, ob Lehrkräfte Unterricht im Klassenzimmer abzuhalten haben um die Abwägung zwischen zwei der höchsten beamtenrechtlichen Prinzipien („Hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums“ nach Art. 35 GG): Der Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 45 BeamtStG) auf der einen und der Treuepflicht des Beamten auf der anderen Seite (§ 3 BeamtStG i.V.m. Art. 33 Abs. 4 GG).
Die hierbei entstehenden Gegensätze treffen dabei auch in der öffentlichen Diskussion zur Wiederaufnahme des Schulbetriebs aufeinander: Während etwa der Kinderschutzbund die Rückkehr zum „normalen“ Unterricht für dringend geboten hält, weil anderenfalls eine „verlorene Schülergeneration“ drohe4, fordern die Lehrergewerkschaften eine erst spätere Rückkehr zur Normalität und einen erhöhten Schutz des Lehrpersonals – etwa durch eine einheitliche Maskenpflicht für Schüler.5
In beamtenrechtlicher Hinsicht ist hierzu Folgendes zu bemerken: Seiner Treuepflicht genügt der Beamte in erster Linie durch die ihm bestmögliche Dienstleistung. Die Pflicht des Beamten zu dieser Dienstleistung zu der vorgeschriebenen Zeit und am vorgeschriebenen Ort ergibt sich dabei bereits aus § 34 BeamtStG. Beamte haben sich danach mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Während der zeitliche Umfang etwa durch eine Arbeitszeitverordnung gesetzlich festgelegt wird, bestimmt der Dienstherr den Ort der Dienstleistung. Dabei handelt es sich in der Regel um die Dienstbehörde, bei Lehrern also das Schulgebäude bzw. das zugewiesene Klassenzimmer.
Der Beamte hat seine Aufgaben weiterhin nach § 33 BeamtStG zum Wohl der Allgemeinheit zu führen. Der Schulbetrieb ist ohne jeden Zweifel ein Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Daraus folgt, dass verbeamtete Lehrer die Verantwortung der öffentlichen Schulen gegenüber der Allgemeinheit sowie gegenüber den Schülern und deren Familien mitzutragen haben. Gerade hierdurch verwirklichen sich der Grundgedanke des öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses und die gesetzliche Verantwortung des Beamten gegenüber dem Staat und der Gesellschaft.
Es besteht dabei das Problem, wo die beschriebene Treuepflicht des Beamten an ihre Grenzen stößt. Der Dienstherr hat jedenfalls dafür Sorge zu tragen, dass dem Beamten aus der Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben keine besonderen Gefahren für Leben und Gesundheit erwachsen. Auch wenn ein Anspruch auf eine „Nullrisiko“-Tätigkeit wegen der aus dem Beamtenrecht folgenden besonderen Rechtsstellung des Lehrers abzulehnen ist, muss der Dienstherr zumindest die erforderlichen Voraussetzungen schaffen, um Schäden von seinen Beamten abzuwenden. Diesen Grundpflichten hat das Land Hessen nach den beiden o.a. Entscheidungen durch die Verpflichtung zu medizinisch gebotenen Hygienemaßnahmen hinreichend entsprochen.
Laut aller Gesundheitsexperten ist es Tatsache, dass die Kita- und Schulschließungen dabei helfen können, die Geschwindigkeit, in der sich das Coronavirus ausbreitet, zu verlangsamen. Trotzdem besteht nach den beiden o.a. Entscheidungen der hessischen Verwaltungsgerichtsbarkeit kein Anspruch auf eine „Nullrisiko-Situation“ für Lehrkräfte. Dieser Rechtsprechung zufolge kann eine Lehrkraft nicht erwarten, „mit einem bis ins letzte ausgefeilten Hygieneplan eine Nullrisiko-Situation in der Schule anzutreffen“. Verbeamtete Lehrpersonen müssen danach ihrer Präsenzpflicht auch dann nachkommen, wenn behördlicherseits zwar ausreichende, aber noch keine umfassenden bzw. abschließenden Hygiene- und Arbeitsschutzmaßnahmen zur Verfügung stehen. Dem Dienstherrn steht hier die Entscheidungskompetenz bei der Abwägung zwischen der ihm obliegenden Fürsorgepflicht und der Treuepflicht des Beamten zu, aber nur dann, wenn er die aktuell ausreichenden Hygienemaßnahmen getroffen hat.
Es stellt sich hier zwangsläufig die weitere Frage, welche rechtlichen Folgen sich ergeben, wenn der Beamte einer sogenannten „Risikogruppe“ angehört.
Lesen Sie dazu den Beitrag der kommenden Woche mit dem Titel:
Corona: Präsenzpflicht bei Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
1 Az.: 9 L 1127/20.F.
2 Az.: 1 B 1308/20.
3 Az.: VG 28 L 119/20.
Hinweis: Einen Hinweis zum „Fahrplan der einzelnen Bundesländer bei der Schulöffnung“ finden Sie unter:
https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/schuloeffnung-das-haben-die-laenderchefs-entschieden/
Lesen Sie dazu auch die Beiträge mit dem Titel:
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