Der Bewerbungsverfahrensanspruch
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Art. 33 Abs. 2 GG vermittelt ein grundrechtsgleiches Recht auf leistungsgerechte Einbeziehung eines Bewerbers in ein sachgerechtes Auswahlverfahren. Ein Bewerber um ein öffentliches Amt kann verlangen, dass seine Bewerbung nur aus Gründen zurückgewiesen wird, die durch den Leistungsgrundsatz gedeckt sind. Dies ist der eigentliche Kern des Bewerbungsverfahrensanspruchs.
Der Bewerberauswahl dürfen nur solche Gesichtspunkte zugrunde gelegt werden, die den von Art. 33 Abs. 2 GG geforderten Leistungsbezug aufweisen (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 – 2 C 19.10). Ein Beförderungsbewerber hat dementsprechend einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr über seine Bewerbung ermessens- und beurteilungsfehlerfrei entscheidet (BVerfG vom 9. Juli 2002 – 2 BvQ 25/02 und vom 24. September 2002 – 2 BvR 857/02).
Aus Art. 33 Abs. 2 GG folgt zwar grundsätzlich kein Anspruch auf eine Ernennung (siehe den Beitrag: Anspruch auf Ernennung nach bestandener Ausbildung?), aber sehr wohl ein Anspruch auf fehlerfreie Auswahl unter den Bewerbern nach den Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG. Diese Verfassungsrechtsnorm eröffnet mit den dort verwendeten unbestimmten Begriffen allerdings einen Beurteilungsspielraum des Dienstherrn, der nur einer „begrenzten gerichtlichen Kontrolle“ unterliegt. Diese reduzierte Kontrolldichte muss durch eine intensivere Ausprägung verfahrensrechtlicher Anforderungen an die Auswahlentscheidung kompensiert werden.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 30. Juni 20111 die in vielen Bereichen der Bundes- und Landesverwaltung praktizierte „Topfwirtschaft“ und die darauf aufbauende Beförderungspraxis in den Personalverwaltungen des Bundes und der Länder für rechtswidrig erklärt und klare Aussagen zum Bewerbungsverfahrensanspruch getroffen. Siehe dazu den Beitrag: Von der „Topfwirtschaft“ zur „Töpfchenwirtschaft“.
Die wesentlichen Grundaussagen der Entscheidung zur Auswahl unter verschiedenen Bewerbern waren:
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Erst nach Ausschöpfung aller leistungsbezogenen Kriterien kann auf weitere – nicht leistungsbezogene – Hilfskriterien wie „Behinderteneigenschaft“ und „weibliches Geschlecht“ abgestellt werden.2
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Nach Auffassung des Gerichts verstößt die Zusammenfassung von mehreren Besoldungsgruppen auf bestimmten Ämtern gegen Art. 33 Abs. 2 GG und gegen die aus § 18 BBesG3 resultierende Pflicht der Ämterbewertung.
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Die unterlegenen Bewerber müssen rechtzeitig (mindestens zwei Wochen) vor der Ernennung über die Gründe für ihre Ablehnung informiert werden.
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Es dürfen nur aktuelle Beurteilungen bei der Auswahlentscheidung berücksichtigt werden. Notfalls sind neue Beurteilungen der Konkurrenten um einen Beförderungsdienstposten vorzunehmen (Anlassbeurteilungen).
Bei Verstößen gegen den Bewerbungsverfahrensanspruch muss der (unterlegene) Bewerber zunächst die Ernennung des Konkurrenten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verhindern und im Hauptsacheverfahren dann eine Entscheidung des Dienstherrn nach der Rechtsauffassung des Gerichts beantragen. Ihm stehen bei weiteren Verstößen dann nicht nur Schadensersatzansprüche zu. Wird etwa entgegen einer einstweiligen Anordnung eines Verwaltungsgerichts ein Mitbewerber befördert, so kann der im vorläufigen Rechtsschutz obsiegende Beamte seinen Bewerbungsverfahrensanspruch im Hauptsacheverfahren weiterverfolgen. Dies setzt noch nicht einmal die Möglichkeit voraus, die bereits erfolgte Ernennung aufzuheben (BVerwG vom 21.8.2003, Az.: 2 C 14/02).
Bei schweren Verstößen des Dienstherrn im Rahmen des Auswahlverfahrens kann der unterlegene Bewerber nach der neuen Rechtsprechung des BVerwG also sogar eine Anfechtungsklage gegen den obsiegenden Bewerber mit aufschiebender Wirkung erheben (vgl. den Beitrag: Ämterstabilität – das wars). Bei gravierenden Fehlern des Auswahlverfahrens müssen nach den im Urteil vom 4. November 2010 Az.: 2 C 16/09 aufgestellten Grundsätzen des BVerwG nämlich solche schweren Fehler zur Möglichkeit einer Anfechtung der Ernennung des Konkurrenten mit suspendierender Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO) führen. Damit steht der Grundsatz der Ämterstabilität der Klage eines unterlegenen Bewerbers dann nicht entgegen, wenn dieser daran gehindert worden ist, die Rechtsschutzmöglichkeiten (Art. 19 Abs. 4 GG) zur Durchsetzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs vor der Ernennung auszuschöpfen.
Ich denke:
Man kann den Bewerbungsverfahrensanspruch deshalb auch bezeichnen als den „Anspruch des Bewerbers auf eine sach- und fachgerechte Auswahl unter mehreren Bewerbern“.
Ihr
Dr. Maximilian Baßlsperger
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2 BVerwG v. 30.6.2011 (Fn. 1), Rn. 21.
3Gleiches gilt für das jeweilige Landesbesoldungsrecht.
Zur Bewerbungsverfahrensanspruch vgl. insbesondere:
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Zängl in Weiß/Niedermaier/Summer, Beamtenrecht in Bayern, § 9 BeamtStG, Rn. 10 ff.
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Zängl in Weiß/Niedermaier/Summer, Beamtenrecht in Bayern, Art. 16 LlbG, Rn. 14 ff.
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Keck in Keck/Puchta/Konrad, Art. 16 LlbG, Rn. 24 ff.


beste Grüße
Hr. Krämer